Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
Vom Netzwerk:
anderes tun konnte, als in Ohnmacht zu fallen, wenn der fragliche Mann zur Tür hereinkam.
    »Noch nicht, aber das wirst du, wenn du ihn siehst.«
    Freu dich vorbehaltlos für mich, befahl Miriams Triumphalismus. Und entsage für den Rest deines Lebens dem Geschlechtsverkehr!
    Bevor er kam, legte sich Miriam noch mehr ins Zeug. Rose werde entzückt feststellen, dass Tommy Gogan kein ungewaschener Beatnik sei, versicherte ihre Tochter ihr, sondern ein Folkmusiker, aber nicht in dem unausgegorenen Wohnheimsinn, den Rose immer so mit Verachtung strafte, wenn sie Miriams Clique von der MacDougal Street sah, sondern ein aufrechter und engagierter Protestsänger, der kurz vor seinem ersten Plattenvertrag stehe. Ein Vertrag sei in der Mache, versprach Miriam. Ein Organisator mit Gitarre, nannte Miriam ihn, und ihr Appell erzeugte eine Erwartung, die sich bedeutungsschwer zwischen Mutter und Tochter aufbaute: dass es an Miriam war, die Prioritäten ihrer Mutter aufzunehmen, sie aus dem sozialistischen Sarkophag auf leben zu lassen. Als beide ihre Zigaretten ausgedrückt und den Lippenstift nachgezogen hatten, war Rose formbar wie Wachs und konnte gegen den Protestsänger nicht mehr protestieren.
    Warum sich nicht einfach für Miriam freuen?
    Ein Folksänger, ob nun von der ungewaschenen oder der Privatschulsorte, war gar nicht Roses Katastrophenszenario. Nachdem sich Miriam kategorisch geweigert hatte, von ihrer Deutschlandreise auch nur flüchtig zu erzählen, galt Roses nie geäußerte größte Angst der Möglichkeit, dass das Mädchen ein verrücktes Bündnis mit der Geschichte seines Vaters eingehen könnte und hinter einen Eisernen Vorhang der Seele gezerrt würde.
    Noch Jahre nach Alberts Verschwinden schleppte Rose Miriam in die Wohnung ihrer Großmutter Alma und bestand darauf, dass das Mädchen erfuhr, wo es herkam, aber sie hätte nie gedacht, dass ihre Belohnung darin bestehen könnte, dass Miriam plötzlich anfing, von Meißner Porzellan und Niederegger Marzipan, von Konzertflügeln und politischen Debatten mit Cognacschwenker in der Hand zu träumen.
    Deutschland sollte Roses Jahrhundert nicht noch mehr stehlen, als es schon gestohlen hatte.
    Nein, der irische Folksänger war nicht Roses schlimmste Befürchtung. Sie würde also keinen Juden heiraten – das war keine große Überraschung. Seit Miriam am Himmelfarb-College für Assimilation ihren Abschluss gemacht hatte, war sie mit Unbeschnittenen herumgezogen, als nähme sie an einem Umerziehungsprogramm des Abschwörens teil. Rose hatte verfolgt, wie Miriam die Petitionen ihrer Angrush-Kusinen abtat; die Töchter von Roses Schwestern hatten allesamt gut geheiratet, Zahnärzte, Anwälte und Diamantenhändler, und sich bei Miriam im Flüsterton erkundigt, wann sie ihrem Beispiel folgen werde, aber Miriam hatte nur gelacht. Rose hatte auch mitbekommen, wie sich Miriam über Vetter Lenny und seine Petitionen lustig gemacht hatte, sie solle doch nicht vergessen, wo sie herkomme und an das Gelobte Land denken, auch wenn sie sich auf die Weltrevolution vorbereite. An diesem Punkt musste Rose keine Stellung beziehen, sondern konnte sich auf die Schulter klopfen. Immerhin konnten sich Roses Schwestern nicht hämisch darüber freuen, dass sich Miriam trotz Roses Gottlosigkeiteinen Juden geangelt hatte. Stattdessen freuten sie sich hämisch darüber, dass Rose erntete, was sie gesät hatte – sie konnte sich glücklich schätzen, dass Miriam keinen Schvartzen angeschleppt hatte! Das war kein Verhängnis. Das war eine Art Befriedigung.
    Tommy Gogan kam herein und begrüßte Rose mit einem Handkuss. Er trug eine Krawatte unter der Jeansjacke, wusste, dass er seine Leinenmütze abzunehmen hatte, und das leichte Nuscheln seines Akzents war vielleicht ein bisschen aufgesetzt, aber doch meilenweit weg von der schlaffen, brutalen Sprechweise, die sich üblicherweise ergab, wenn irische Eltern und die Straßen von Queens aufeinanderprallten. Der rotbraune Schopf war gekämmt und vor nicht allzu langer Zeit geschnitten worden – er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, um den Mützenabdruck zu entfernen, und zeigte überhaupt eine charmante Beflissenheit, seiner Schwiegermutter-in-spe zu gefallen.
    Tommy Gogan hatte zwei Arme und zwei Beine, wie Roses Schwestern bei einem Baby gesagt hätten, das unter zweifelhaften Umständen auf die Welt gekommen war, dessen wunderbare Angemessenheit aber gleichwohl gepriesen werden musste. Er hatte zwei Augen und eine Nase mitten im

Weitere Kostenlose Bücher