Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
übersieht das Schlagloch vor sich und fällt hinein, schürft sich die Knie auf und bricht zusammen. Das Auto wird vor der nächsten Kurve langsamer und verschwindet. Wieder einmal ist Deqo allein.
ZWEITER TEIL
Deqo
B arfuß steigt Deqo über den faulenden Mulch, der unter ihr wegrutscht. Von ihren Fingern baumeln ihre roten Plastiksandalen, von den Bäumen tropfen Wasserperlen, als schüttelten sich die Äste trocken und spritzten ihr dabei neckisch ins Gesicht und auf den Nacken. Nicht weit von zwei kauernden Gestalten entfernt, versteckt sie sich hinter einem breiten Weidenstamm; ein versengter Spalt, die Stelle, an der sich gedankenlos ein Blitz ausgetobt hat, rahmt ihr Gesicht. Um sich Mut zuzusprechen, sagt sie leise ihren Namen vor sich hin. Durch die Musik der Regentropfen hindurch ist die Unterhaltung der Männer nur schlecht zu verstehen; es pladdert auf die unzähligen Bäume im Graben, die ihre Blätter wie wächserne grüne Zungen ausgestreckt haben. Die quälende Trockenperiode, unter der sie in Saba’ad litt, ist vorüber, aber Deqo kann den Regenguss nicht genießen.
Zu beiden Seiten der Bäume streunen Straßenhunde, Diebe und Hargeisas herumflanierende Gespenster. In der Dunkelheit hört sie, wie Autos über die Brücke zischen und Beamte der Geheimpolizei wispern. Die Tonne, in der sie schläft, ist kalt, zu kalt. Die Stofffetzen, die normalerweise den Boden bedecken, schaukeln auf petroleumfleckigem Wasser. Auf der mondbeschienenen Oberfläche blitzen die Smaragde und Saphire eines Pfauenschwanzes auf. Solange sie es aushält, bibbert sie mit ihrer Gänsehaut vor sich hin, dann wagt sie sich mit dem Mut der Verzweiflung zu den Betrunkenen und ihrem Feuer vor. Was sie wohl für sie tun oder ihr antun werden? Ob Hyänen wohl nur beim Anblick eines Lamms zu Hyänen werden? Die Hitze des Feuers bläst über Deqo hinweg, sein Knacken und das Farbspiel wärmen sie. Alkoholberauscht haben die Männer einen bombastischen Brand entfacht; er springt züngelnd die dunklen, schwankenden Bäume an, bevor er zurücktaumelt und im Fass zusammenfällt.Sie atmet den Geruch feuchten Rauchs ein, den Geschmack frischer Asche.
«Waryaa, hus
, Mann, sei mal still! Hörst du nicht auch was, Karnickel?», nuschelt der eine Betrunkene seinem Kameraden zu.
«Ach, Bruder Faruur, bloß die Klagen meines armen Magens», erwidert der andere.
Faruur schweigt, den Kopf zur Seite gelegt, das Gesicht ernst und konzentriert. Er erinnert Deqo an einen Hund, der die Ohren spitzt, die das kleinste Geräusch einfangen und dessen zitternde Nasenhaare den süßlich-metallischen Blutgeruch erschnuppern.
«Da ist jemand im Gebüsch dort drüben», sagt Faruur triumphierend.
Mit hämmerndem Herzen tritt Deqo ins Freie, es ist besser, sich zu erkennen zu geben, als entdeckt zu werden; sie marschiert direkt auf das brennende Fass zu, die Handflächen ausgestreckt, um die Hitze anzufangen. Ihr Wagemut zahlt sich aus; schweigend und verwirrt senken Faruur und der andere Mann den Kopf, beide besorgt, sie könnten wieder einmal halluzinieren.
Das Feuer ergreift ihre Hände und zieht sie zu sich heran. Es ist wie Baden, aber ohne dass einem das Wasser in den Augen brennt oder man sich entblößen muss, während man von verborgenen Blicken beobachtet wird, was ihr peinlich ist.
Faruurs Augen sind suppig-trüb, gelb und rosa, glänzend wie die eines Babys, die Unterlider hängen schlaff herab. Er mustert Deqo von oben bis unten.
«Geh weg hier, weg von unserem Feuer!» Er greift nach einem Stück Holz, aus dem ein Nagel hervorsteht, und hebt es wie zum Schlag. Neben seinen Schuhen mit den offenen Schnürsenkeln lehnt eine halb ausgetrunkene Flasche Wundbenzin.
Deqo sieht ihm in die Augen. Er glaubt, dass er sie wegjagen kann, alle denken das. «Mensch, benimm dich wie ein Muslim. Ich will mich bloß wärmen, und dann lass ich euch in Ruhe.»
Faruur hat immer noch den Arm erhoben, und Deqo bleibt ruhig beim Feuer stehen, ihre Hände heiß wie zwei Explosionen. Langsamgibt sein Arm nach, fällt nach unten, immer noch hält die Hand die Waffe.
Der andere Betrunkene greift nach ihrem Schenkel, flink springt sie außer Reichweite. «Igitt! Begrapsch deinen Vater, du eklige, alte Eidechse!», brüllt sie.
Die beiden Männer sehen einander an und brechen in Gelächter aus, das abgehackte, heisere, keuchende Gelächter der Tuberkulosekranken.
«Was sagst du dazu, Karnickel, wir machen uns die Mühe, bauen ein Feuerchen, sammeln Holz,
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