Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
Brücke ist gleichfalls von einer Reihe Soldaten versperrt. Im Versuch, den brennenden Stockschlägen zu entkommen, fallen die Kinder übereinander, öffnen die Hände zur Kapitulation, recken sie nach oben, wie ein Versprechen, sich brav zu benehmen.
Deqo stolpert über einen Jungen und fällt einem Soldaten vor die Füße, der mit einer Hand ihr Kleid, mit der anderen den Jungen am Arm packt und sie beide zu einem am Straßenrand stehenden gewaltigen Lastwagen zerrt. Die Ladefläche ist so weit oben, dass der Soldat den Jungen loslassen muss, weil er beide Hände braucht, um Deqo hineinzuwerfen, als Nächstes kommt der Junge, dann folgen weitere Schüler. Deqo greift nach der Hand des Soldaten, will ihn darum bitten, sie gehen zu lassen, aber er schlägt ihr auf den Mund. Mit Blutgeschmack auf der Zunge sieht sie entsetzt auf das Geflirr von Röcken und Gliedern, als immer mehr Kinder zwangsweise auf den Wagen verfrachtet werden, über dessen Seiten sich schwarze Netze spannen, der einzige Unterschied zwischen diesem Lastwagen und jenen, die Tiere transportieren. Ein älterer Junge, dem die Locken bis auf den Rücken fallen, reißt ein Loch in das Netz und klettert hinaus, andere Wagemutige folgen ihm. Deqo späht auf den Boden weit unter sich und hat nicht den Schneid, es ihnen gleichzutun.
Bald ist der Lastwagen voller protestierender Schulkinder, die sich von allen Seiten gegen sie quetschen. Neben ihr sitzt ein Mädchen, das mit offenem Mund weint und vor Schluchzen kaum Luft bekommt.Der Motor wird angelassen, und als der Lastwagen über die unebene Straße donnert, spürt Deqo, wie sich Fleisch und Knochen des Mädchens in sie hineinpressen. Selbst in diesem Gewimmel riecht das Mädchen frisch, seine Haut und Uniform sind derart mit Seife geschrubbt worden, dass sein Schweiß jenen berauschenden Waschmittelduft verströmt, der aus den
Dhobi
-Häusern wabert.
«Weine nicht», sagt Deqo und legt dem Mädchen die Hand auf den Arm.
«Fass mich nicht an!», schreit es und schiebt Deqo weg.
Ein älteres Mädchen mit rosa Bluse legt besitzergreifend den Arm um die Schultern der Weinenden und küsst sie auf den Kopf. «Ist ja gut, ist ja gut, Waris, ich bin doch bei dir.»
Deqo wendet den Kopf ab und presst die Lippen aufeinander. Dir bin ich nichts schuldig, denkt sie. Sauer sollte ich auf dich sein, weil du den ganzen Ärger verursacht hast, du blödes Ding. Sie versteht nicht, warum die Schüler und Soldaten ständig gegeneinander kämpfen. Sie haben alle was zu essen, ein Zuhause und Eltern, weshalb sollte man also herumkrakeelen? Die sollten mal ins Flüchtlingslager gehen und sehen, wie es sich dort lebt. Mit den Händen bedeckt sie ihre Füße, schämt sich der staubigen Zehen mit den überlangen Nägeln, der schwieligen, schuppigen Haut, des roten Hängerkleidchens, das an allen Nähten ausfranst. Sie presst die Knie aneinander und rückt von den Jungen weg, die in ihrer Nähe sitzen. Ihr fällt auf, dass diese nicht so weit von ihr abrücken wie die Mädchen, zwischen ihr und den Körpern der Jungen ist kaum ein Zentimeter Abstand. Jungen sind es auch, die sie auf der Straße schubsen, und sie fühlt sich klein und schäbig. Kein
Dhobi
-Geruch umgibt sie, nur Moschus, scharf wie Essig, der auf Deqos Haut übergeht, wenn die Jungen während der schaukelnden Fahrt gegen sie stoßen.
Der Lastwagen rumpelt durch ein letztes Schlagloch und hält dann; unter der Haube vibriert der Motor nach. Zu ihrer Rechten liegt das Polizeihauptrevier, nach dem Stadion der zweite Ort, den sie in Hargeisa kennengelernt hat. Ein Rotbarett öffnet die Ladeklappe und scheucht die Kinder heraus. Polizisten in weißen Hemden führen sie ins Revier, jeder packt links und rechts je zwei Kinder am Hemdkragen.
Schließlich ist Deqo dran und weicht zurück, als das Rotbarett nach ihr greift; er kommt ihr vor wie eine Gestalt aus einem Albtraum, schweigend, grausam und unbeugsam. Sie quiekt auf vor Schmerz, als sich seine Hand wie ein Schraubstock um ihre Fessel legt, eine andere Hand nach ihrem Schenkel greift und sie ins Freie gerissen wird. Mein Körper gehört mir nicht mehr, geht Deqo durch den Kopf, er ist eine Schale, die sie zerbrechen wollen. Ein Polizist, sein fetter Bauch wird vom Gürtel zusammengehalten, der Hosenschlitz steht halb offen, beschimpft wüst die Gefangenen; hart klatscht er Deqo mit der flachen Hand auf die Beine und dreht ihr die Arme auf den Rücken. Mit einer Hand hat er ihre Handgelenke und auch die
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