Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
Mädchen um sie, und sie wünscht, ihre Arme wären lang genug,um sie alle an sich zu drücken. Bestimmt hat Hodan in diesem feuchten Loch die ganze Nacht lang geweint.
«Kawsar? Wo ist Kawsar?» Die Polizistin rüttelt am Gitter.
«Hier!» Sie braucht drei Anläufe, um sich aufzurichten; als es ihr schließlich gelingt, knirschen ihre Knie vernehmlich.
«Das ist für dich abgegeben worden.» Die Polizistin hält ein Handtuchbündel hoch.
«Ist sie noch da?», fragt Kawsar.
«Nein, ich habe die Frauen nach Hause geschickt.» Sie öffnet die Tür und reicht ihr das Bündel. «Vorsichtig, es ist heiß.»
Durch das Handtuch dringt köstlicher Duft: Koriander, Pfeffer, Gewürznelke, Knoblauch.
Sie ist die Erste, die Essen bekommt, aber wenn die anderen hungern, bringt sie nichts herunter. Sie geht auf die jungen Mädchen zu und lädt sie mit einer Handbewegung zum Essen ein.
Sie wickelt aus dem Handtuch einen kleinen Kochtopf samt einem Stapel runder
roodhis
. Als sie den Deckel hebt, dampft es, der Topf ist randvoll mit einem Lamm-Kartoffel-Eintopf, viel mehr, als sie allein je essen könnte. Vorsichtig wie Katzen lassen sich die Mädchen um das Essen nieder.
Kawsar reicht das Brot herum und hält immer noch vier, fünf Stück in der Hand; sie dreht sich zu China um. «Komm und iss, du brauchst Milch für deinen Sohn.»
China rümpft die Nase und schüttelt den Kopf. «Ich warte auf mein eigenes
asho
.»
Kawsar taucht ein Stück Brot in den Eintopf, greift damit nach einem Kartoffelwürfel. Das Brot ist von Maryam English, der Eintopf von Dahabo – sie kennt ihre Kochkünste gut. Um sicherzustellen, dass dies nicht das Abendessen der Wachmannschaft wird, haben sie bestimmt
laluush
gezahlt; sie nimmt sich vor, den beiden das Geld zurückzugeben.
Die Mädchen haben ihre Scheu überwunden, greifen tief in den Topf. Ihre Finger sind dreckig, ihre eigenen allerdings auch, zum Waschen gibt es keine Gelegenheit, aber beim Anblick der dickenDreckränder unter den Fingernägeln eines der Mädchen wird Kawsar trotzdem übel. In letzter Zeit ist ihr Magen winzig, eine kleine Mahlzeit pro Tag reicht ihr; sie isst ein
roodhi
, überlässt den anderen den Rest.
«Kawsar! Komm her, nach dir wird verlangt», bellt die Polizistin durch das Gitter.
«Ist das hier etwa das Kawsar-Hotel? Was ist mit uns? Ich sitze schon den ganzen Tag hier mit meinem Baby rum!», brüllt China.
«Ruhe,
dhilloyeh
, Hure! Halt die Klappe, wenn du nicht willst, dass wir sie dir schließen.»
Kawsar ist betreten. Ob ihnen Dahabo wohl gesagt hat, dass ihr Mann früher einmal Polizeichef von Hargeisa war?
«Hier entlang.» Bernsteinfarbenes Licht erfüllt den Korridor; sie schlagen die entgegengesetzte Richtung zum Ausgang ein, dringen noch tiefer ins Gebäude ein, gehen schmale Betonstufen in den Keller hinunter.
«Sind meine Nachbarinnen zurück? Haben sie gezahlt?», fragt sie die Polizistin.
«So leicht kommst du nicht frei.» Sie klopft an eine gelbe Tür, drückt die Klinke herunter und steckt den Kopf in den Raum hinein. «Hier ist sie.»
«Bring sie rein», sagt eine Stimme.
«Pass auf, was du sagst», gibt ihr die Polizistin leise mit und macht die Tür weit auf.
Es ist die Offizierin, die sie auf das Polizeirevier gebracht hat. Sie sieht jetzt weniger gelackt aus, das Haar nachlässig unter das Barett gestopft, das Make-up unter den Augen verschmiert. Eine nackte Glühbirne mit niedriger Wattzahl beleuchtet lediglich den Tisch, ihr bleiches Gesicht, ihre Hände. Der fensterlose Raum riecht nach den Gefangenen, die hier durchgeschleust worden sind, ihrem Atem, ihrem Schweiß, ihrem Blut.
Die Offizierin deutet auf einen Metallstuhl ihr gegenüber. Scharrend zieht ihn Kawsar über den Betonboden. Der Stuhl ist hoch, und im Sitzen kann sie mit den Zehen gerade so den Boden berühren; ein leisesMurmeln der Erleichterung entschlüpft ihr, als sie sich auf der gepolsterten Plastiksitzfläche niederlässt.
«Ich bin Officer Adan Ali.» Die Frau räuspert sich, ehe sie fortfährt. «Ich untersuche den Tumult bei der Parade zum 21. Oktober im Hargeisa-Stadion. Wie heißt du?» Von ihrem Schoß nimmt sie Kladde und Stift und notiert rasch Kawsars Name, Adresse, Alter, Familienstand, Clanzugehörigkeit. Auf ihrem Gesicht liegt der gleiche Ausdruck intensiver Konzentration, wie Hodan ihn immer hatte.
Es entsteht eine Pause. Kawsar betrachtet den einzigen Schmuck im Raum – ein Poster an der hinteren Wand, schief mit Klebeband befestigt,
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