Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
des gut riechenden Mädchens gepackt und marschiert mit ihnen durch die Staubwolke, die von den Widerstand leistenden Demonstranten aufgewirbelt wird, und geht die hohen, vom Regen besprenkelten Betonstufen zum Revier hoch.
Im schmutzigen, dunklen Korridor sitzt rechts ein junger Wachmann auf einem Metallstuhl und betrachtet die vorbeigehenden Schulkinder mit großen, melancholischen Augen. «Helfen Sie mir», fleht Deqo ihn lautlos an, während sie schlitternd über den grün gekachelten Korridor gezerrt wird, aber er regt sich nicht, wiegt lediglich mit langen, dickknöcheligen Fingern sein Gewehr, unter der glatten Haut bewegen sich die Adern. Deqo kommt sich vor, als würde sie Wasser treten und in eine Strömung gezogen, der sie nicht entkommen kann.
Die Kinder werden zu den Zellen gebracht, die Mädchen in eine Gemeinschaftszelle gesteckt, die Jungen weiter ins Innere des Reviers getrieben. An der Stelle, wo der dickbäuchige Polizist Deqos Handgelenke zusammengequetscht hat, brennt die Haut, und sie wedelt mit den Armen, um sie zu kühlen. Sie geht ein paar Schritte weiter in die Zelle hinein und wird vom Gestank der Exkremente überwältigt. Die Gefangenen, die schon länger hier sind, müssen sich aufrappeln und zusammenrücken, um für die Demonstranten Platz zu machen. Lautstark protestieren sie. An der Rückwand drängen sich vier junge Frauen zusammen, das Haar in dicke Zöpfe geflochten. Eine der Erwachsenentritt nach ihnen und schreit:
«Roohi
, bewegt euch!» Sie gehorchen, und die Frau breitet auf dem kleinen Fleck, den sich die vier geteilt haben, ihre Binsenmatte aus.
Nachdem sie sich die Zelle näher angesehen haben, fangen einige der Schülerinnen wieder zu schluchzen an. Deqo verdreht die Augen; sie fühlt sich diesen naiven, behüteten Mädchen überlegen, die demonstrieren, aber keine Ahnung haben, wie es im richtigen Leben zugeht. Sie wissen das Dach überm Kopf nicht zu schätzen, das sie vor Nässe schützt, die Körper, die ihnen Wärme schenken, den tropfenden Wasserhahn in der Ecke, der ihren Durst stillt. Ständig ändern die Frauen und Mädchen ihre Position, versuchen, einen Platz so weit entfernt vom Toiletteneimer wie möglich einzunehmen. Deqo atmet flach und zögerlich, dieser Geruch versetzt sie zurück ins Flüchtlingslager und zu jenem Cholera-Ausbruch, der Anabs Leben beendete und ihres beinahe auch, beide schliefen ein, aber nur eine wachte wieder auf. Im Graben hat sie wenigstens viel Platz, und sie hat sich an den frischen Duft der Bäume gewöhnt.
Ein paar der Gefangenen scheinen sich hier wie zu Hause zu fühlen. Eine der jungen Frauen hat die Beine ausgestreckt, stillt ihr Baby und plaudert dabei. Ihre Freundin ist prächtig in Rosa und Silber gekleidet, ihr schwarzes Haar an den Spitzen golden gefärbt. Ihre Lage scheint sie nicht zu bedrücken. Die Mädchen mit den Zöpfen hingegen wirken, als wären sie schon seit Wochen in dieser Zelle. Eine ist barfuß, der Schritt ihrer Hose blutig, eine andere hat überall auf den nackten Armen kleine, kreisförmige Brandstellen. Alle vier sind ausgezehrt, die Hüftknochen wie Metallgestelle unter den locker sitzenden Hosen, die Hälse lang und dürr, die dunkel bewimperten Augen in schwarzen Höhlen versunken. Polizistinnen in dunkelblauen Uniformen gehen am Zellengitter vorbei, die Hosen straff über den Hintern.
Was die Mädchen wohl angestellt haben, überlegt Deqo, dass sie so schlecht behandelt werden, und ob sie wohl mit ihnen eingesperrt bleiben wird? Sie lässt den Blick zwischen ihnen und den hübschen Frauen hin und her wandern und schiebt sich näher an die Hübschen heran, vielleicht färbt deren Glück ja auf sie ab.
«… dass er ungebunden ist, dass das letzte Kind ja nicht mal seins ist», sagt die mit den goldenen Haarspitzen gerade.
«Glaubst du ihm?», entgegnet die mit dem Kind.
«Nein, aber was soll ich tun? Die Liebe hat halt zugeschlagen.»
«Na, dann schlag doch zurück», lacht die Mutter.
Auch Deqo lacht, und misstrauisch blicken die Frauen auf.
«Hat man dir nicht beigebracht, dass es unhöflich ist, andere zu belauschen?»
Deqo lächelt entschuldigend.
«Lass sie in Ruhe, sie meint’s ja nicht böse. Was machst du denn hier? Hast du gestohlen?»
Heftig schüttelt Deqo den Kopf. «Keine Ahnung, warum ich hier bin, fragt doch die da», geringschätzig deutet sie auf die Schülerinnen, «die haben mir das eingebrockt.»
«Soso», lächelt die Frau. «Wie heißt du?»
«Deqo. Und
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