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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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kommst ungefähr hin.»
    Deqo lächelt ungläubig zurück, ist aber zu höflich, ihre Zweifel zu äußern. «Warum heißt du Karl Marx?»
    «Weil ich gegeben und gegeben und gegeben habe, und jetzt ist nichts mehr übrig.» Sie greift sich an die Brust und seufzt.
    «Was ist mit Stalin und China?»
    «Stalin ist wegen ihrer Brutalität nach dem russischen
jaalle
Stalin benannt, und China ist bei den Kulis sehr beliebt. Nasra möchte keinen neuen Namen.» Ihre Aufmerksamkeit wandert zu dem Vorrat weißer Medikamentenschachteln auf dem Boden, und während Deqo das Bett richtet, zermahlt sie mit den Zähnen eine Tablette nach der anderen.
    «Wie willst du heißen?»
    «Ich heiße Deqo, ich will keinen anderen Namen», sagt sie bestimmt. Wenn Nasra für das Leben hier keinen neuen Namen benötigte, braucht sie auch keinen.
    «Sei so nett und wasch die Kleider da für mich.» Karl Marx zeigt auf einen Haufen neben der Tür.
    Deqo zögert, unsicher, ob Waschen zu ihren Pflichten gehört, beschließt dann, sich gut mit Karl Marx zu stellen; es kann nicht schaden, im Haus eine Verbündete gegen Stalin zu haben. Sie sammelt die Kleider auf und geht.
    Deqo lässt Karl Marx‘ Wäsche in ein Becken im Hof fallen, schrubbt sie mit einer grünen Seife unter dem Wasserhahn; das Wasser tröpfelt so langsam, dass sie beschließt, erst die Zimmer fertig zu machen. Nachdem sie dreimal an Chinas Tür geklopft und keine Antwort erhalten hat, tappt Deqo zu Nasras Zimmer, wo in einem weißen Henkelgefäß aus Ton Weihrauch brennt. Nasra hat gerade geduscht; ein um den Kopf gewickeltes Handtuch hält das Haar oben und entblößt ihren langen Hals. Ihre Haut an den Knien und Ellbogen ist heller und mit Leberfleckchen übersät, die sich bis über die Brust und Oberschenkel ausbreiten; mit kräftigen Bewegungen verteilt sie eine milchweiße Lotion auf ihrem Körper, massiert, knetet mit den Fingern das Fleisch, zieht es vom Knochen weg.
    «Nimm ruhig was.» Nasra hält ihr die Flasche hin.
    Deqo drückt sich einen winzigen Klecks auf die Handfläche und reicht die Flasche zurück. Der Duft der Lotion, die Rasierklinge und die unzähligen Tiegel auf dem Toilettentisch scheinen die Verwandlung vom kleinen Mädchen zur Frau zu verkörpern, die notwendige Pflege und Kontrolle, nach der ein erwachsener, ungebärdiger Körper verlangt. Sie reibt die Handflächen aneinander und hält sie sich unter die Nase, der Duft der Lotion wird von Seife, Kohle, Brot und Schweiß überdeckt.
    Nasra reißt sich die Handtücher von Kopf und Körper und steht in ihrer ganzen Pracht vor dem Schrank. Deqo wendet den Blick ab, aber wegen des Unterschieds zwischen Nasras kräftigen Schenkeln, dem stabilen Rücken und Karl Marx‘ Körper möchte sie gern noch einmal hinsehen, damit sie weiß, wie eine erwachsene Frau eigentlich aussehen soll, wie vielen Veränderungen ihr eigener Körper unterworfen sein wird.
    «Hast du gut geschlafen?» Nasra geht die Stapel zusammengelegter Kleidung durch, die aus dem Schrank quellen.
    «Ja», erwidert Deqo enthusiastisch, obwohl sie kaum ein Auge zugemacht hat.
    «Gut. Vielleicht bleibst du dann ja bei uns.» Nasra zieht sich an, wählt ihre Kleidung sorgfältig aus. «Du musst mir sagen, wenn du etwas brauchst. Ich möchte, dass du dick und glücklich wirst, kapiert? Ich möchte, dass du mein kleines Mädchen bist.»
    «Ja, Nasra.» Deqo lächelt breit.
    «Hast du schon mal das Meer gesehen?»
    «Noch nie.»
    «Eines Tages nehme ich dich mit nach Berbera zu meiner Familie.»
    «Wie ist es da so?»
    «Wie in Hargeisa, aber Berbera liegt direkt am Meer, die Fischer verkaufen ihren Fang am Strand, und Jemeniten drängen dir
qudar
auf, ein Getränk aus Datteln, und meine Mutter mit ihrer Schere schneidet mir jeden Monat die Haare.» Nasra lächelt.
    Sie schaltet die Stereoanlage ein, wechselt die Kassette, geht Aufnahme um Aufnahme durch, erklärt bei jeder wie eine Radiomoderatorin die Herkunft, arabisch, kongolesisch und amerikanisch. Deqo kann die Lieder nicht unterscheiden, aber ihr gefällt alles; plötzlich kommt ihr das Zimmer belebt und von unsichtbaren Musikern, Sängern und Tänzern bevölkert vor. Nasra findet ein somalisches Lied und setzt sich wieder auf das ungemachte Bett, in der Hand ein Fotoalbum, das sie durchblättert. Hinter dem durchsichtigen Papier haben die Fotos die Anmutung ferner, halb vergessener Erinnerungen, und Nasras Lächeln verschwindet.
    Deqo schaut ihr über die Schulter: kleine Mädchen, die

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