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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Jeansschlaghosen, Afrofrisuren und engen Hemden, Dutzende von Burschen und Jungen stürmen an ihr vorbei. Soldaten in verschiedenen Wagen jagen ihnen nach. Die Straße verengt sich, die Soldaten steigen aus und setzen die Verfolgung zu Fuß fort, werfen sich auf ihre Opfer, die die Mauern hochklettern und in dem Gewirr der Höfe und Gässchen Schutz suchen. Ein Junge kriecht hinten aus dem Laden hinaus und versteckt sich um die Ecke in einem baufälligen Ziegenstall. Es ist wie ein gewaltiges Versteckspiel, von dem Deqo ausgeschlossen ist, ein Spiel nur für Jungen.
    Ein Lastwagen rast heran, blockiert das andere Ende der Straße, und einige der Gefangenen werden mit gesenkten Köpfen und auf den Rücken gedrehten Armen zu dem Fahrzeug geführt. Eine Frau versperrt den Zugang zu ihrem Bungalow, aber zwei Soldaten stoßen sie beiseite und zerren einen Jungen an seinen langen Haaren nach draußen. Die Frau läuft ihnen nach, fleht sie an, ihn nicht mitzunehmen: «Lasst ihn gehen, er ist alles, was ich habe, er ist zu jung für den Wehrdienst, lasst ihn gehen,
walaalo
, Brüder.»
    Von Staub eingehüllt, die Arme schützend vor der Brust gekreuzt, steht Deqo am Rand des Schauplatzes und fühlt sich an die Schlachtungen im Lager während
Eid
erinnert, als die Nomaden mit Schafen und Ziegen kamen und sie an die reicheren Familien verkauften, worauf die brüllenden Tiere brutal voneinander getrennt wurden. Sie betritt den leeren Laden, nimmt eine Packung Zucker aus einem Regal, lässt dafür Geld zurück und flüchtet zu Nasras Haus. Als sie den Bungalow erreicht, stehen die Frauen an der Tür und spähen auf die Straße. Stalin grinst, aber die anderen sehen besorgt aus.
    «Das ist diesen Monat schon das zweite Mal. Was wollen sie denn mit all den Kindern?», ruft China.
    «Kannibalen, die wollen die Frucht unseres Leibes», erwidert Karl Marx.
    «Guckt mal, wie die rennen! Ist das nicht der kleine Scheißer, der mir einen Stein gegen das Fenster geworfen hat? Jetzt ist er nicht mehr so mutig, was?»
    Nasra kaut auf einem Kopftuchzipfel herum und beteiligt sich nichtan dem Gespräch; sanft legt sie Deqo eine Hand auf den Rücken und bringt sie ins Haus.
    Deqo steht im Dämmer des Badezimmers und zittert, als aus dem Eimer kaltes Wasser über ihren Kopf rinnt.
    «Wasch dein Haar gründlich», ordnet Nasra an.
    Dicker Schaum tropft ihr in die Augen und legt sich um ihren Hals; das Shampoo riecht so gut, dass Deqo immer wieder innehält und tief einatmet.
    «Wenn ich mit dir fertig bin, wirst du wunderschön aussehen.»
    «Wo bringen die Soldaten die Jungen denn hin?», fragt Deqo mit geschlossenen Augen.
    «In den Süden, wo sie zu Soldaten ausgebildet werden.» Erneut füllt Nasra den Eimer und schüttet Wasser über Deqo.
    «Wollen die denn nicht Soldat werden?»
    «Nein, warum auch? Schließlich steht diese Regierung nicht auf ihrer Seite.»
    «Aber der Präsident sorgt für uns, er ist unser Vater.»
    Nasra lacht. «Jaja, so heißt es in den Liedern, aber ich glaube nicht, dass das stimmt. Hast du das in Saba’ad gelernt?»
    Deqo nickt und führt ihr den Tanz vor, den Milgo ihr beigebracht hat; ihre Füße gleiten quietschend über den nassen Boden.
    «Zappel nicht so rum, mit diesem Tanz machst du dir hier keine Freunde.»
    Nasra fährt Deqo mit der Hand über den nackten Rücken, spült die letzten Schaumspuren ab.
    Stalin taucht auf und lehnt sich gegen den Türrahmen. «Da hast du dir mit dieser
bedu
ja ordentlich Arbeit eingebrockt. Schau dir doch bloß mal die Storchenbeine an – und sie ist nicht einmal beschnitten!»
    Deqo bedeckt mit den Händen ihre Scham; von Nasra gebadet zu werden, hatte sich ganz natürlich angefühlt, als wäre sie eine Mutter oder ältere Schwester, aber die Art, wie Stalin sie ansieht, lässt sie schrumpfen. Der Blick dieser Frau scheint sie auseinanderzunehmen und zu sagen: Sieh dich doch bloß an, niemand hat dich genuggeliebt, um dich beschneiden zu lassen, du bist ungebärdig und schmutzig.
    «Hast du nichts Besseres zu tun, Stalin?», erkundigt sich Nasra.
    «Gerade nicht, nein. Ich habe ein Messer, falls du willst, dass ich’s abschneide, na, Deqo?»
    Deqo weicht vor ihr zurück, die Beine fest zusammengepresst.
    «Glaubst du vielleicht, du hast besser ausgesehen, als du hier ankamst? Dir folgte doch überallhin ein Schwarm Flöhe. Raus mit dir!» Nasra spritzt mit Wasser nach ihr.
    «Wenn du nicht achtgibst, verkaufe ich sie dir unter der Nase weg», gibt Stalin zurück, ehe

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