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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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sie mit blinden Augen und irrem Grinsen inmitten der vielen gleich aussehenden Gestalten auf den Tribünen nach ihren Familienmitgliedern suchen. Die Guddi kommen als Letzte, schwenken Zweige und tragen Bilder von Lenin, Kim Il Sung und Mao, den Kommunisten, die der Diktatur früher einmal als Inspiration dienten, jetzt sind die Fotos verblasst und werden nur einmal im Jahr wie Reliquien hervorgekramt. Mittlerweile sucht das Regime überall nach Freunden, egal ob Araber, Amerikaner oder Albaner.
    Auf dem Weg ins Stadion hat Deqo einige schmuddelige Mädchen in ihrem Alter gesehen, die den Markt mit kurzen, aus getrockneten Gräsern gebundenen Besen fegten. So arm sie auch sind, hat doch jede ein Paar durchsichtige Plastiksandalen an den Füßen.
    Nun lugt sie hinter Milgos Beinen hervor auf die Soldaten, die die Parade eröffnen. Sie bewegen sich wie ein einziges Wesen, ein Insektenschwarm mit grünen Panzerschalen auf den Köpfen, tausend Füße trappeln über den Boden, tausend Augen blicken in dieselbe Richtung. Noch nie hat sie so viele Männer auf einmal gesehen; das Lager besteht hauptsächlich aus Frauen und Kindern, die miteinander zanken und streiten. Die Soldaten sind jung, stark und einig. Sie scheinen zusammenzugehören,während sie dagegen zu niemandem gehört. Als die Männer an ihnen vorbeigehen, heult Milgo jubilierend auf, und Deqo versucht, sie nachzuahmen, lässt die Zunge im Mund hin- und herflitzen und jodelt. Während sie die Soldaten betrachtet, die Menschenmenge, die Flugzeuge am Himmel, gelangt sie zu der Überzeugung, dass dies der schönste Tag ihres Lebens ist, der Tag, an dem die ganze Welt vor ihr ausgebreitet liegt, damit sie sich daran erfreuen kann. Das Lager und sein Staub und seine Fliegen sind jetzt weit weg. Aufregung rumort in ihrem Magen; bald wird sie dort draußen im Mittelpunkt der Erde ihren Platz einnehmen.
    Auf der Tribüne Kawsar gegenüber kommt jetzt Bewegung auf, Tausende von Lungen atmen aus, als sich die Zuschauer bücken und mit Plakaten in den Händen wieder aufrichten. Auf die Anweisung von Guddi-Aktivisten in traditionellen Gewändern hin werden die Plakate umgedreht und hochgehalten. Binnen weniger Sekunden ist die Tribüne verschwunden, und ein flirrendes Porträt von Oodweyne blickt zu Kawsar herüber. Ein paar Rebellen weigern sich, ihr Plakat hochzuhalten, verursachen winzige Löcher in seinem Gesicht, aber die Botschaft ist klar: Der Präsident ist ein Gigant, ein Gott, der über sie wacht, der sich zerteilen und alles, was sie tun, hören und sehen kann. Der kleine Nomadenjunge, der wusste, wie man einem Kamel die Vorderbeine fesselt und einem Schaf eine Zecke entfernt, ist zur Gottheit geworden. Ein Frevler, denkt Kawsar, als sein Gesicht vor ihr schwebt, sowohl er als auch sein Diener Haaruun. Ehe sie wieder weiß, wo sie sich eigentlich befindet, hat sie bei diesem Anblick auch schon heftig ausgespuckt und um sie herum ziehen die Zuschauer hörbar die Luft ein.
    «Was machst du denn!», ruft Dahabo aus und packt Kawsars Oberarm.
    Aber Kawsar hat keine Ahnung, sie ist nicht wirklich da, sie hat einfach ein Gesicht gesehen, das sie abstieß, und entsprechend reagiert. Auf den Gesichtern in der Reihe unter ihr zeigen sich Schock und die Angst, dass sie die Aufmerksamkeit auf sie gezogen haben könnte, aber Kawsar kann diese Angst nicht mehr fühlen, im Vergleich zu dem, wassie durchlebt hat, erscheint sie ihr belanglos und unsinnig. Welches Opfer können sie denn noch von ihr fordern, nachdem sie ihr das einzige Kind genommen haben? Angst lässt Soldaten tapfer sein, spornt Polizisten zur Plünderung an, flößt dem alten Mann in Mogadischu Leben ein. Ihr Leben oder ihr Besitz sind ihr nicht wichtig genug, um sich weiterhin selbst zu erniedrigen.
    «Auf geht’s! Los jetzt, los!», brüllt Milgo.
    Die Kinder strömen auf das Areal, Deqo als Dritte. Aus allen Richtungen explodieren Geräusche: Trommeln, Schreie, Gebrüll. Deqo kann beim Singen ihre eigene Stimme nicht hören. Schon jetzt hat sie die Schrittfolgen vergessen, sie ahmt Safiyas Bewegungen nach, aber ihre Glieder sind schwer, ihre Gedanken verwirrt. Sie konnte diese Tänze auswendig, war besser als Safiya, aber jetzt ist sie völlig verunsichert. Der Anspruch, ja keinen Fehler zu machen, ist erdrückend, sie sehnt sich danach, so unsichtbar zu sein wie im Lager, kann aber den Blicken nicht entkommen, die sie beobachten und beurteilen. Der von den Schild-und-Speertänzern aufgewirbelte Staub, der

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