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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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verdient einen derart brutalen Regen; er tröpfelt nicht zart auf wächserne Blätter, sondern wühlt die Erde auf wie Artillerie, zerstört in wenigen Stunden ganze Straßen. Manchmal werden Kinder von der Sturzflut mitgerissen und ihre Leichen später viele Kilometer entfernt neben ertrunkenen Kühen und völlig ramponierten Fahrrädern aufgefunden. Erst Dürre, dann Flut, offenbar droht den Somaliern stets Unheil.
    Die Flut, die sie in den Sechzigern unten im Süden erlebt hatte, wirkte wie eine göttliche Strafe: Das Wasser stand hoch genug, um Palmen, Minarette und Telegrafenmasten zu verschlingen, Krokodile, Wasserschlangen und übellaunige Nilpferdfamilien schwammen darin herum. Sie erinnert sich, wie sie auf dem Dach von Farahs Landrover stand und auf die Dörfer hinuntersah; zwei Strohdächer ragten aus dem Wasser, auf denen Männer, Frauen und Kinder Zuflucht gefunden hatten. Auf allen landwirtschaftlichen Flächen, die von den Juba und Shabelle bewässert wurden, wiederholte sich diese Szenerie: Auf dem abgetragenen Boden verrottete die Jahresernte. Zum ersten Mal musste der noch junge Staat die ehemaligen Kolonialherren anbetteln, und seitdem hat die Regierung nie damit aufgehört; wegen der Fluten und Hungersnöte, wegen Traktoren und Röntgenapparaten, die Gebetsmatten sind nach Westen ausgerichtet, flehentlich beugen sich die Knie.
    Seit die Italiener und Briten abgezogen waren, schien das Land unentwegt von Wirtschaftskrisen, Staatskrisen und Naturkatastrophen heimgesucht zu werden. Die Europäer müssen bei ihrem Abzug einen knochentiefen Fluch hinterlassen haben, und in ihrem Fahrwasser erhoben sich längst verblichene Dschinns wie Oodweyne, die alles zuSand und Wüste werden ließen. Kawsar hatte ihn flüchtig in Mogadischu kennengelernt, als er noch ein junger Offizier und Farah District Commissioner von Baidoa gewesen war, er war ein ganz gewöhnlicher Mann gewesen, weder Zukunftsvisionen noch despotische Niedertracht ausstrahlend, er wurde bereits in jungen Jahren kahl – das war das einzig Bemerkenswerte an ihm. Wie die Zeit ihre Spielchen treibt. Sie erhöht Zwerge und legt Riesen in Fesseln – weshalb sonst war Farah unter der Erde und Oodweyne saß auf einem Thron? Beinahe unbemerkt und heimlich war er nach der Ermordung des letzten gewählten Präsidenten an die Macht gekommen, und wenn seine Stimme im Radio ertönte, kam sie ihr stets bedrohlich vor und erinnerte sie an jene fünf Tage im Jahre 1969, nachdem der Präsident von seinem Leibwächter erschossen worden war und Radio Hargeisa unablässig Koranrezitationen gesendet hatte, Schulen und Behörden wegen der angeordneten Staatstrauer geschlossen worden waren, während Kawsar sich im Bett von einer ihrer Fehlgeburten erholt hatte.
    Das Erstaunen, das sie am sechsten Tag verspürt hatte, als um 9 Uhr morgens fröhlich der Militärputsch und der neue Name des Landes verkündet worden waren, Somalische Demokratische Republik, war nie mehr gewichen, sondern hatte gewissermaßen wie ein Basso continuo alle darauf folgenden verwirrenden Ereignisse begleitet: die Verhaftung des Premierministers, die Abschaffung des Parlaments und der Verfassung, die Übernahme des Landes durch den Obersten Revolutionsrat mit Oodweyne als dessen Vorsitzendem. Farah war einer der wenigen gewesen, der Ablehnung geäußert hatte; er hatte die neuen Führer «Kuckucke» genannt und den Kontakt zu Freunden abgebrochen, die sagten, sie zögen die Militärherrschaft dem Chaos der Demokratie vor. Kawsar, in Farahs Augen typisch Frau, wollte einfach nur Ruhe und Frieden und eine möglichst stabile Lage.
    Die Junta führte ein somalisches Alphabet ein, organisierte Freiwillige zum Bau von Schulen, Krankenhäusern, Straßen und der Reparatur des Stadions in Hargeisa, sagte den Menschen, sie sollten ihre Clannamen vergessen und einander «Genosse» nennen. Dann verlor sie den Krieg und zeigte ihre wahre Natur. Kawsar wünscht, sie könnte mitFarah reden und ihm sagen: «Du hattest recht, ich geb’s ja zu, sie sind unerträglich.» Das würde jedoch bedeuten, dass er sehen würde, dass in seiner Abwesenheit alles zusammengebrochen war: Hodan gestorben, seine Frau alt und verkrüppelt, das Haus schmutzig und verfallen, seine alten Freunde entweder tot, im Gefängnis, dem
Khat
oder dem Alkohol verfallen. Der von ihm geforderte Widerstand wurde nun von Kindern angeführt, und in der Zwischenzeit war das Regime überall so tief verwurzelt wie das Unkraut im Graben, sodass

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