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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Dickköpfigkeit? Soll ich dich auch noch darum bitten, dass du dein eigenes Leben rettest? Wann änderst du dich? Sieh dich doch an! Sieh dich doch mal um, wie du lebst! Willst du etwa so zurückbleiben? Die da wird dich nämlich nicht retten.»
    «Das erwarte ich auch gar nicht. Nurto, geh und setz den Kessel auf.»
    Nurto huscht in die Küche.
    Dahabo wirbelt durch das Haus auf der Suche nach den Dingen, die sie für Kawsar packen kann. Sie macht den Schrank auf und reißt wahllos Sachen heraus. «Wo bewahrst du die Fotos auf? Was ist mit deinem Hochzeitsschmuck?»
    Draußen hupt es.
    «Sie warten, Kawsar! Jetzt ist keine Zeit mehr für deine Spielchen.»
    «Lass das, Dahabo. Du bringst nur alles in Unordnung. Ich gehe nicht mit. Sieh mich an und hör mir zu.»
    Schließlich dreht Dahabo sich um, ihre Augen sind blutunterlaufen und tränen. «Du bist diejenige, die mich verlässt, Kawsar, nicht umgekehrt. Ich würde dich auf dem Rücken raustragen, wenn du mich lässt.»
    «Das weiß ich doch, aber das möchte ich nicht.»
    «Du willst also einfach hier sterben?»
    «Ich will mein Leben in meinem eigenen Haus beenden, Dahabo. Das ist doch keine Tragödie.»
    Zum ersten Mal weint Dahabo vor ihr – schreckliche, unbeholfene Schluchzer, die ihr im Hals stecken bleiben. Kawsar öffnet die Arme und streckt sie ihr entgegen.
    Dahabo schwankt zu ihr hinüber und schlingt die Arme um den Hals der Freundin.
    «Es tut mir so leid, wie ich dich die letzten Wochen über behandelt habe. Ich wollte dich nicht verlieren. Geh mit deinen Kindern, Dahabo, leg die Beine hoch und zerbrich dir wegen niemandem mehr den Kopf, du verdienst, dass es dir gut geht.»
    Dahabos Tränen sickern durch Kawsars Umschlagtuch auf ihre Haut.
    «Erinnerst du dich, wie dich deine Mutter zum ersten Mal zu uns gebracht hat und wir die Putzlappen, den Mopp und die Reinigungsmittel auf dem Dach versteckt haben und sie den ganzen Nachmittag lang danach gesucht und uns hinterhergejagt ist? Es kam mir vor, als sei ich mir selbst im Körper einer anderen begegnet.»
    «Hör auf damit, hör auf!» Dahabo, die allergisch gegen Gefühlsausbrüche ist, reißt sich los. «Du kommst also nicht mit?»
    Wieder hupt es, diesmal länger und vehementer.
    «Nein.»
    Dahabo nickt. «Ich akzeptiere deine Entscheidung, aber ich werde immer an dich denken.»
    «Und ich an dich.» Kawsar nimmt Dahabos Kopf in die Hände und küsst sie fest auf beide Wangen und auf die Stirn.
«Nabadgelyo
, alte Hexe.»
    «Nabaddiino
, du böses Weib.»
    Der Tag vergeht wie im Flug. Kawsar fühlt sich benommen, wie unter Drogen, als hätte sie gerade eine Operation, eine Amputation hinter sich. An ihren Kleidern kann sie immer noch Dahabos Duft riechen, kann immer noch ihre Anwesenheit spüren, aber ihre Freundin ist längst unterwegs auf dem einzigen passablen Asphaltstreifen, der nach Mogadischu führt. Kawsar weint nicht, sie starrt nur auf die Tür und fragt sich, ob Dahabo vielleicht durch einen merkwürdigen Zufall wieder zurückkommt,und nimmt am Abend genügend Schmerzmittel, um den Schlaf herbeizuzwingen.
    Mitten in der Nacht schlägt Kawsar die Augen auf. Irgendetwas stimmt nicht. Die Straßenhunde geben keinen Laut von sich, normalerweise bellen und jaulen sie, wenn sie den Müll am Straßenrand durchwühlen. Nicht einmal das Rumpeln der Wassertankwagen auf der Straße zum Flughafen ist zu hören. Keine Soldaten, die an Türen hämmern.
    Sie sieht zu Nurto auf ihrer Matratze hinüber, sie hat die Beine auf dem Betonboden ausgestreckt, den Kopf unter Decken vergraben. Kawsar öffnet den Mund, will nach ihr rufen und sie bitten, ob sie aus dem Fenster sehen kann, unterdrückt aber den Impuls. Sie wird selbst wach bleiben und das Fenster über ihrem Bett im Auge behalten.
    Sie presst eine Hand auf die Stelle hinter ihren Rippen, an der es gleichmäßig pocht, und ihr fällt ein, dass ihr Vater, ihre Mutter und ihr Mann alle einem schwachen Herzen erlegen sind. Ihr Mann hat in ebendiesem Bett zum letzten Mal Luft geholt, die Haut klamm, den Mund geöffnet, die Augen aus ihren Höhlen quellend. Im Kopfkissen klebt noch sein Schweiß, der des lebenden und der des sterbenden Farah, und vermischt sich mit ihrem. Offensichtlich haben ihre Organe ihr jetzt den Kampf angesagt; dunkel wie Tee tröpfelt ihr Urin in die Bettpfanne, ihr Stuhl ist schleim- und blutummantelt. Nur ihr Herz scheint von den Scharmützeln nicht betroffen, sein Schlag ist gedämpft, aber beharrlich; es hat so viel

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