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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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gehört dem Staat», Filsan wird lauter und deutet auf das weite Land hinter ihnen, «und versucht bloß nicht abzustreiten, dass ihr die Terroristen mit Wasser aus den
berkeds
versorgt habt.»
    Der dritte Älteste, jünger als die beiden anderen und mit vollem schwarzem Haarschopf, mischt sich in die Unterhaltung ein. «
Jaalle»
,sagt er spöttisch, «wir brauchen diese
berkeds
, um unsere Kamele, unsere Ziegen und Schafe zu tränken, für unsere Waschungen vor den Gebeten, für eine Tasse Tee morgens. Für mehr reicht das Wasser sowieso nicht. Wir befinden uns mitten in einer langen Dürreperiode, und da glaubt ihr tatsächlich, dass wir die Rebellen mit Wasser versorgen?»
    Während er noch spricht, schießt eine riesige Wolke aus Wasser, Lehm und Stein hoch in den Himmel, westlich des Dorfes. Rund um das Dorf ereignet sich alle drei Minuten eine Detonation, und das Gebrüll des Dynamits wird von den Kalksteinhügeln zurückgeworfen. Die Dorfbewohner rennen auf die Explosionsherde zu, die Ältesten vorneweg, dahinter die vor Aufregung und Angst kreischenden Kinder.
    Filsan setzt hinterher und holt die Menge in dem Moment ein, als Lieutenant Afrah die letzte Zündung freigibt. Die rechtwinkligen Betonmauern der
berked
, die dem Dorf am nächsten liegt, hat es zerfetzt, Teile ragen wie Grabsteine aus dem Lehm.
    Die Zerstörung bringt die Ältesten zum Schweigen, aber sie spürt ihre Wut, so, wie sie einst die Wut ihres Vaters lesen lernte, entdeckt die gleichen Anzeichen: steifer Unterkiefer, angespannte Schultern, die Körper vom Objekt des Hasses abgewandt.
    Entspannte, lächelnde Kommandosoldaten tauchen auf, die Reaktion der Dorfbewohner interessiert sie nicht. Derartige Angriffe sind ihnen willkommen, minimales Risiko, und vielleicht gibt es auch noch etwas zu plündern. Filsan ist nach der Verfolgung außer Atem, hat Seitenstechen und presst die Hände auf die Rippen. Die Dorfbewohner stehen wie angewurzelt da, ihr Blick wandert von einem Krater zum nächsten, von den Akazien tropft unechter Regen. Filsan marschiert auf die Ältesten zu, will ihnen die Notwendigkeit dieses Vorgehens erklären, welche Vorteile es hat, wenn sie eine Zusammenarbeit mit den Rebellen ablehnen und in welchem Maße sie davon wirtschaftlich profitieren würden.
    Der rothaarige Älteste dreht sich um, als sie sich nähert, und zielt mit seinem Stock auf ihr Gesicht. Sie bemerkt nicht, wie ihr Finger den Abzug ihres Gewehrs drückt, ihr Körper wird vom Rückschlag zurückgeworfen. Der Schlag des Gewehrs gegen ihre Brust überrascht sie genauso wie das plötzliche Knallen der Kugeln. Als der Älteste auf denHintern fällt, nimmt sie an, dass er bei seinem Angriffsversuch das Gleichgewicht verloren hat, bis Blutflecken auf seinem Hemd erscheinen und der weiße Stoff sich vor ihren Augen in dunkler werdendes Rot verfärbt. Dann stürzen die beiden anderen Ältesten zu Boden, die offenen Augen sind immer noch auf sie gerichtet. Die Bewegungen am Rand ihres Sehfelds verwischen, sie erkennt nicht, dass die grauen Schatten, die sich den hingestreckten Männern nähern, ihre Kameraden sind.
    «Feuer einstellen!», ruft Lieutenant Afrah.
    Filsan blickt auf ihre Füße hinab und sieht bronzefarbene Käfer darüberhuschen; sie presst die Stiefel aneinander, und die Käfer regen sich nicht mehr, sondern haben sich in leere Patronenhülsen verwandelt.
    Die Ältesten liegen übereinander wie Betrunkene; ein Heulen erklingt, als zuerst eine Frau, dann noch eine und eine dritte zu den Toten, den Sterbenden eilen. Filsan versucht, einen Schritt vorwärts zu machen, aber es fühlt sich an, als wären ihre Stiefel einbetoniert.
    Lieutenant Afrah zielt mit seiner Kalaschnikow auf die jungen Männer in der Menge. «Zurück! Zurück! Zurück!»
    Eine Gruppe Soldaten treibt die Jugendlichen vor sich her und drängt sie auf eine freigeräumte Fläche in der Mitte der ärmlichen Siedlung zurück. Filsan bemerkt zum ersten Mal, wie dürr ihre Waden sind, bloße Stecken, die aus den zerfransten Sarongs ragen. Sie werden vorwärtsgestoßen, die Hände auf den lockigen Hinterköpfen verschränkt, und müssen in der Sonne hocken, bis die Soldaten abziehen.
    Eine alte Frau zieht die Ehefrauen von den Leichen weg und bedeckt die Gesichter der Männer mit einem Tuch; sie schweigt, dreht sich aber zu Filsan um und hebt den Finger; ob sie ihr damit Schuld zuweisen, Vergeltung androhen oder sie verfluchen will, weiß Filsan nicht zu deuten.
    «Steigen Sie in den

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