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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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bewahrt. Stets hat Filsan alle Belehrungen sehr ernst genommen, sie aufgesaugt und verinnerlicht, nach Anerkennung gehungert – und nun taugt sie nicht für das wahre Leben, ist ein Monster.
    Beim Eintreten kommt Filsan ihre Stube noch mehr als sonst wie eine Zelle vor, mehr Schlupfwinkel für Ganoven als ein Soldatenquartier. Ein kleiner ovaler Spiegel an der gegenüberliegenden Wand fängt ihr Abbild ein. Das Weiß ihres Handtuchs, das Braun ihrer Haut, das Schwarz ihres Haars bilden abstrakte Formen; sie ist namenlos, unschuldig, nur eine Silhouette. Sie tritt näher, hat Nachthemd und Shampoo immer noch unter die nassen Arme geklemmt. Das Gesicht ihrer Mutter starrt zurück, kalt und fremd, das Gesicht, dessen Anblick ihr Vater nicht erträgt. Er will nicht begreifen, dass sie es sich nicht ausgesucht hat, dieser Frau zu gleichen; die hohe Stirn, die weit auseinanderstehenden Augen, die schmale Nase, das kleine Kinn sind ihr aufgezwungen worden. Sie mag ihr Gesicht genauso wenig ansehen wie er. Wenn sie eine ehrbare Mutter gehabt hätte, stünde sie jetzt nicht hier, beinahe dreißig, ungeliebt und auch nicht liebenswert und mit dem Wunsch, der Spiegel zerspränge in tausend Stücke.
    Als der nächste Krampf ihren Unterleib packt, lässt Filsan sich auf das niedrige Bett sinken. Ihr Körper entzieht sich ihrer Kontrolle, will ihr entkommen, so scheint es jedenfalls. Ein ähnliches Gefühl der Auflösung hatte sie schon einmal, da war sie gerade fünfzehn und wuchs scheu in diesen weiblichen Körper hinein. Gemeinsam mit ihrem Onkel Abukor, einem Diplomaten, waren die Cousinen Rahma und Idil zum zweiten Mal aus Washington zu Besuch gekommen. Während ihre Väter von Hotelbar zu Hotelbar zogen, bummelten die drei Mädchen über Mogadischus Boulevards, wichen den grapschenden Händen der Junggesellen auf ihren Vespas und den fahrlässig gesteuerten VW-Käfern und Fiat Unos der üppigen Import-Export-Ladies aus, die Süßholz raspelnd den Regierungsbeamten lukrative Handelslizenzen abgeschwatzt hatten. Die Schwestern kreischten, als Filsan sie untergehakt durch das dichte, hupende Chaos des Ahmed-Gurey-Kreisverkehrs Richtung Strand scheuchte, wo sie vollständig angezogen im Wasserplanschten oder auf dem mit Seetang übersäten Strand saßen und sich Eis von den Fingern leckten. Sie sah zu, wie Rahma und Idil sich mit vier schlaksigen Jungen anfreundeten, die in der Nähe der Brandung Fußball spielten. Es war egal, wie schlecht sie Somalisch sprachen, die Jeansschlaghosen, die roten Lippen und die Großspurigkeit der Mädchen genügten, dass sich die Jungen um sie scharten. Von da an trafen sie sich jeden Tag, und allmählich entspannte sich Filsan in dieser ausgelassenen Gesellschaft, in der man sich kabbelte und balgte.
    Abdurahman, einer der Jungen, mit Brille und dichten Locken wie ein Lämmchen, erregte ihre Aufmerksamkeit durch die Frage, welche Bücher sie denn gerne lese; sie hatte nicht erwartet, dass er «Eugen Onegin» kannte, «Der Meister und Margarita» oder «Schlachthof 5», aber er nickte anerkennend und fragte, ob sie wisse, dass Puschkin auch äthiopische Vorfahren gehabt habe. Eines Nachmittags gingen sie vom Strand zum Dervish Park und schauten sich die Regierungskundgebung an; während sie die Via Makka Al-Mukarama entlanggingen, konnten sie den Gesang und die Trommeln hören, und sie fiel in Gleichschritt mit Abdurahman. Als ihm auffiel, dass sie wegen des grellen Sonnenlichts die Augen zukniff, lieh er ihr seine Sonnenbrille, und sie ließ ihren verborgenen Blick über die bronzene Silhouette von Mohamed Abdullah Hassan auf seinem Pferd gleiten, über die großen Bäume, die der Meerwind zur Seite bog wie einen Theatervorhang, und über den schmalhüftigen Jungen mit dem Gesicht, das aus exotischen Fernen kam. Am Eingang des Parks wehten an den Masten die Flaggen der Somalischen Revolutionären Sozialistischen Partei. Filsan stand neben dem weiß getünchten Hotel Bulsho auf dem höchsten Punkt der Sandhügel, die die Küste und den größten Teil der Stadt voneinander trennen, mit Blick auf den alten Leuchtturm und das Altstadtviertel Hamar Weyne, das vor tausend Jahren von langbärtigen arabischen und persischen Händlern gegründet worden war. Sie fühlte sich wie im Lied «Shimbiryahow» von Magool, der berühmten Sängerin – träge durch die Lüfte schwebend, frei: «O Vogel, fliegst du? Folgst du dem Wind?» In Gedanken vernahm sie die Frage und antwortete: «Das werde ich.» Das

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