Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
Auftrag, die Wasserspeicher von Salahley zu zerstören. Seit über zehn Jahren bauen die dort jedes Jahr einen neuen und gewähren nun den Rebellen Zugang zu einigen davon. Corporal Adan Ali! Wo sind Sie, mein Mädchen?», brüllt Major Adow.
Filsan schiebt sich nach vorn, bis sie einen Meter vom Schreibtisch entfernt steht.
«Sie haben die Aufgabe, dem Dorf unsere Verärgerung mitzuteilen. Stellen Sie sicher, dass die dort verstehen, dass wir weitere Strafmaßnahmen ergreifen können und das auch ohne Zögern tun werden. Wir brauchen einen gebildeten Genossen, der die Grundgedanken der Revolution klar und deutlich kommunizieren kann. Das können Sie doch?»
«Ja, Major», antwortet Filsan schnell.
«Einmal im Monat erhält das Dorf per Lastwagen eine Wasserlieferung, und die traditionellen Brunnen können weiterhin genutzt werden.»
«Werde ich übermitteln, Sir.»
«Lieutenant Hashi wird das genaue Datum und die Uhrzeit des Einsatzesnoch bestätigen. Zeitgleich werden sich die vierte und die achtzehnte Abteilung Baha Dhamal und Ina Guuhaa vornehmen. Noch Fragen?»
Nervös treten die Soldaten von einem Bein aufs andere, schweigen aber. Die Worte drängen sich auf Filsans Lippen, aber sie fürchtet, sie könne zu arrogant wirken. Sie räuspert sich, und alle Blicke richten sich auf Filsan. «Machen wir überhaupt Gefangene?» Sie flüstert beinahe.
Major Adow lächelt breit, jene Art Lächeln, mit der man einen Fahrrad fahrenden Hund bedenken würde. «Gute Frage,
jaalle
. Dieses Detail muss noch geklärt werden, aber gut, dass Sie sich gemeldet haben.»
Filsan sieht die anderen Soldaten herablassend lächeln, obwohl sie selbst zu feige waren, etwas zu sagen.
Hashi deutet auf seine Armbanduhr, und Major Adow nickt. «Genossen, lassen Sie uns diese Besprechung beenden.» Er reckt die Faust in die Luft und brüllt: «Sieg für die Partei! Sieg für die Nationalarmee! Tod und Niederlage den Rebellen!»
Gemeinsam mit den anderen Soldaten brüllt Filsan die Parole, reckt die Faust in die Luft.
Filsan reißt die Augen auf. Feuchte Laken umschlingen ihre Beine. Liedfetzen kreisen durch ihre Gedanken, Liebeslieder, deren oberflächliche Bedeutung sie kennt, die tiefere aber nicht versteht; im Dunkel der Nacht klingen sie höhnisch und albtraumhaft. Die Salahley-Operation ist ihr erster Einsatz an der Front, zum ersten Mal seit ihrer Ankunft wird sie Hargeisa verlassen, und vor Aufregung kann sie kaum die Augen schließen. Sie lebt das Leben eines Soldaten, während ihr Vater vor dem Fernseher herumsitzt und ägyptische Seifenopern guckt.
Zwei Tage später erfolgt der Einsatzbefehl. Ihre Abfahrt aus Hargeisa ist für fünf Uhr morgens angesetzt, die Ankunft in Salahley wird um neun Uhr sein, wenn sie mit Höchstgeschwindigkeit fahren. Der Lastwagen holt sie in Birjeeh ab und wird Richtung Westen fahren. Filsan hat gehofft, dass ihre Periode erst nach dem Einsatz beginnt, aber wie ausblankem Hohn kommt sie zu früh, lässt sie bleich werden und sich in Krämpfen winden. Sie stürzt einen Schwarztee nach dem anderen hinunter und vermeidet jegliche Nahrung, die ihre Übelkeit nur noch verstärken würde, aber am Morgen nach dem Anfall liegt sie zusammengerollt da und schluchzt vor Schwäche. Sie atmet tief ein, entwirrt ihre Glieder und zwingt sich zu ihrer morgendlichen Routine. Vor allen anderen trifft sie in Birjeeh ein, noch ist es dunkel, aber Vögel flattern in den Zweigen, wecken einander auf. Das Gebäude sieht jetzt noch beeindruckender aus, die Mauern verschmelzen mit der Dunkelheit und bilden eine Zitadelle aus Äther und Stein.
Filsan und die dreißig Mann starke Einheit verlassen Birjeeh in einem Konvoi aus vier großen Lastwagen jenes Typs, den die Leute hier «Verhängnis» nennen, weil er in Dutzende tödlicher Unfälle verwickelt ist. Filsan sitzt auf dem Beifahrersitz des ersten Trucks, der Schmerz in Unterleib und Rücken wird durch das sanfte Vibrieren des Motors gedämpft. Der Fahrer hatte ihr den Arm entgegengestreckt, als sie sich abmühte, in das große Fahrzeug zu steigen, aber bisher ist kein einziges Wort zwischen ihnen gefallen.
«Morgen, Corporal.» Lieutenant Afrah streckt von der Rückbank seinen Kopf ins Führerhaus.
«Guten Morgen, Sir», salutiert Filsan unbeholfen. Der Lieutenant hat jene merkwürdigen braunen Augen, über die manche Somalier verfügen, mit einem dicken blauen Hof um die Pupille, als wäre er kurz vor dem Erblinden.
«Sind Sie nervös?» Er lächelt, und
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