Der Gast des Kalifen
sich die junge Kirche in alle Winde zerstreut. Ihre Anhänger zogen nach Norden, Süden, Westen, Osten - wo auch immer sie hofften, der Tyrannei der Tempelpriester und dem Zorn des Pöbels zu entkommen.«
Jordanus hob seinen Becher, und Sydoni füllte ihn mit dem letzten Rest Wein im Krug. Der alte Mann leerte den Becher in einem Zug und sagte: »Aber all das ist schon lange her. Niemand will jetzt noch etwas davon hören.«
Sichtlich bemüht, seinen Fehler wieder gutzumachen, beeilte Rou-pen sich zu sagen: »Wenn es Euch nichts ausmacht, Herr. Ich würde es gerne hören.«
Damit hatte Roupen offenbar die richtigen Worte gefunden, denn die Augen des alten Mannes funkelten plötzlich freudig.
»Nun, vielleicht werde ich Euch noch eines erzählen . nur um des besseren Verständnisses willen«, gab Jordanus nach; von Widerwillen war nichts mehr zu spüren. Er nahm eine kleine Bronzeglocke vom Tisch, klingelte mehrere Male laut und sagte dann: »In Jerusalem wurde es zu gefährlich; also flohen meine Leute gen Süden. Seit den Zeiten des großen Patriarchen Abraham suchten die Juden Zuflucht in Ägypten, wann immer die Lage in Palästina zu bedrohlich wurde. Das haben auch meine Vorfahren getan, und in Ägypten sind sie dann auch geblieben. Mit der Zeit wurden wir zu Ägyptern, und jene von uns, die im Glauben standhaft geblieben sind, wurden als Kopten bekannt. Meinen Vorfahren ist es gut ergangen; sie wurden Händler - manche besaßen Schiffe, andere Kamele, und einige hatten sogar Niederlassungen in allen größeren Städten.
In diesem Umfeld bin auch ich groß geworden. Ich wurde Händler, und mein Sohn folgte mir darin nach.« Bei diesen Worten huschte ein Schatten über das Gesicht des alten Mannes, und ihm drohte die Stimme zu versagen. »Mein Sohn.« Er hielt kurz inne und räusperte sich; dann fuhr er fort: »Einst reichte mein Handel von den Ufern des Nils bis zu den Gipfeln des Taurusgebirges. Nun ist das alles Vergangenheit . vorbei und tot . wie mein Sohn, die letzte Hoffnung meines berühmten Geschlechts.«
Jordanus hob den Blick und lächelte traurig. »Es tut mir Leid«, sagte er und sackte wieder in sich zusammen. »Mein Leid ist eine Last, die ich Euch nicht aufbürden will. Verzeiht einem alten Mann.«
Erneut versank er in Schweigen, und kurz darauferschien der fette Mann in der Tür, der uns am Tor empfangen hatte. »Gregior«, befahl Jordanus, »bring uns mehr Wein.« Der mürrische Diener drehte sich wortlos wieder um und schlurfte davon. »Und versuch, den Krug nicht zu leeren, bevor er den Tisch erreicht!«, rief ihm sein Herr hinterher.
»Ich halte nichts von Sklavenhaltung«, erklärte Jordanus. »Aber bei Gregior und Omar mache ich eine Ausnahme. Ihr stimmt mir sicherlich zu, dass die beiden hoffnungslose Fälle sind. Würde ich sie hinauswerfen, würden sie alsbald verhungern, und als guter Christ kann ich das nicht zulassen. Also behalte ich sie zu ihrem eigenen Wohl, da niemand sie sonst nehmen würde.« Er lächelte schwach und breitete die Arme aus. »Ich entschuldige mich für den armseligen Empfang. Wohlgemerkt, das hat nichts mit Euch zu tun; anderen wäre es ebenso ergangen. Egal ob Kalif oder König, Bettler, Aussätziger oder Dieb - Omar empfängt jeden gleich.«
»Was ist das für eine Sprache, die er spricht?«, fragte Padraig. »Ich habe nicht ein Wort davon verstanden.«
»Soweit ich weiß, ist es überhaupt keine Sprache«, antwortete unser Gastgeber und lachte leise. »Omar glaubt, Latein zu sprechen; aber in all den Jahren, da ich ihn kenne, ist meines Wissens noch kein einziges verständliches Wort über seine Lippen gekommen.« Müde schüttelte er den Kopf. »Es ist hoffnungslos.«
Der Wein wurde uns in einem großen Silberkrug gebracht, und
Sydoni füllte die Becher, die Jordanus uns dann mit den Worten anbot: »Ich trinke auf meine Freunde, alte wie neue! Möge der Allmächtige seine schützende Hand über Euch halten. Amen!«
Wir tranken; dann stellte unser Gastgeber den Becher auf den Tisch und sagte: »Nun denn, lasst uns zum Geschäft kommen. Warum hat Euch unser Templerfreund de Bracineaux zum alten Jordanus geschickt?«
Sordanus hörte mit halb geschlossenen Augen zu, während ich ihm in aller Kürze von den Ereignissen berichtete, die uns vor seine Tür geführt hatten. Er nickte und blickte zu Padraig, während ich davon erzählte, wie es dazu gekommen war, dass Padraig und ich gemeinsam auf Pilgerfahrt gegangen waren und wie wir in Rouen die
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