Der Gast des Kalifen
eines Arabers. Ich starrte auf den Schatzhaufen und wusste, dass es wahr sein musste. Irgendwo inmitten all dieser Geschenke und all der Beute lag der größte Schatz der Christenheit verborgen.
Es dauerte nicht lange, und der armenische Schreiber erschien, der mir gestern als Übersetzer gedient hatte. »Wisst Ihr, warum Ihr hierher gebracht worden seid?«, fragte Katib Sahak. Seine Stimme klang kalt und hart.
»Ich hatte gehofft, dass der Emir mein Lösegeld angenommen hat und mir nun gestatten wird, in Frieden davonzuziehen.«
»Das zu entscheiden ist Sache des Emirs.« Mit seiner Haltung und seinem Tonfall machte Sahak mehr als deutlich, wie sehr er mich verachtete. »Er wünscht, Euch ein paar Fragen zu stellen. Ich rate Euch, ihm stets die Wahrheit zu sagen. Euer Leben hängt davon ab.«
»Seid versichert, dass ich genau das tun werde.«
Er machte ein Geräusch, als hielte er das für mehr als unwahrscheinlich. »Folgt mir.«
Der Schreiber schlug eine Zeltbahn zurück, hinter der sich ein weiterer Raum verbarg und winkte mir hineinzugehen. Die Einrichtung war ungewöhnlich schlicht. Es gab keinerlei Möbel, nur Kissen. Auf dem Boden lagen edle Seidenteppiche in mehreren Lagen, sodass von dem harten Untergrund nichts mehr zu spüren war. Auch in diesem Raum befanden sich Geschenke, doch im Gegensatz zu dem Berg im Vorraum war es in diesem Teil des Zeltes nur ein Hügel; allerdings waren die Gegenstände weitaus wertvoller.
Der Emir saß in der Mitte des Raums umgeben von vier Seld-schuken, bei denen es sich ihrer Gewandung und ihrem Verhalten nach zu urteilen um Edelleute und Ratgeber handelte - der Atabek von Albistan war einer von ihnen. Emir Ghazis Gesichtsausdruck war streng und herausfordernd. Sein weißer Bart sträubte sich wie die Stacheln eines Igels; seinen sandfarbenen Turban hatte er abgelegt, und das lange graue Haar hatte er sich zu einem Zopf zurückgebunden, der bis auf seine Schulter reichte. »Gott ist groß!«, sagte er auf Arabisch.
Sahak übersetzte mir die Worte des Emirs, worauf ich erwiderte: »Amen!«
Ghazi nickte und hob die Hand. Der Armenier verneigte sich, drehte sich zu mir um und sagte: »Seine Hoheit, der erhabene Emir Gha-zi hat über Eure Bitte nachgedacht. Er hat sie mit seinen Ratgebern besprochen, und es ist die Meinung des Emirs, dass Ihr aus der armenischen Festung geflohen sein müsst, ansonsten hätte man Euch nicht gefangen genommen. Ist das so?«
»Ja, das ist so«, antwortete ich und blickte den Emir an.
»Es ist die Meinung des Emirs, dass es viele Gründe für einen Mann gibt zu fliehen. Die häufigsten Gründe und somit auch die wahrscheinlichsten - in der Meinung des erhabenen Emirs - sind die folgenden: Entweder habt Ihr Feinde in der königlichen Familie, oder aber Ihr habt ein Verbrechen gegen sie begangen. Vielleicht der Diebstahl der Brosche, mit der Ihr Eure Freiheit habt erkaufen wollen,
ja?«
»Sagt meinem Herrn, dem Emir, dass ich kein Dieb bin«, erklärte ich und versuchte, so ruhig wie möglich zu bleiben. »Ich habe nichts gestohlen, und ich habe auch keine Feinde innerhalb der königlichen Familie.«
Ich hätte darauf bestehen können, dass man mich als Edelmann anerkannte, aber in Zeiten wie diesen ergibt es keinen Sinn, seiner Selbstherrlichkeit Geltung verschaffen zu wollen. Wie Abt Emlyn zu sagen pflegt: Märtyrer werden oft verbrannt, doch nicht wegen ihres Glaubens, sondern allein wegen ihres hochfliegenden Stolzes.
Sahak wiederholte meine Worte und übersetzte mir dann die knappe Antwort des Emirs. »Das macht keinen Unterschied«, sagte er. »Emir Ghazi sagt, dass Ihr ein Gefangener bleiben werdet. Ihr habt gesagt, Eure Freunde seien entkommen. Wenn dem so ist, dann werden jene, die Euch begleitet haben, auch das Lösegeld schicken, und dann werdet Ihr freigelassen werden. Dadurch werden wir wissen, dass Ihr die Wahrheit sprecht, und die Angelegenheit ist erledigt.«
»Und wenn niemand kommt, für mich zu bezahlen?« Ich hasste diese Frage, doch ich musste es einfach wissen.
»Dann wird man Euch mit dem Rest der Sklaven, die nicht hoffen können, ausgelöst zu werden, auf dem Markt von Damaskus verkaufen.«
Der Emir beobachtete mich, um zu sehen, wie ich diese Nachricht aufnahm. Als ich nicht schrie oder sonst wie meinen Unmut äußerte, fragte Sahak: »Habt Ihr verstanden, was ich Euch gerade gesagt habe?«
»Voll und ganz«, antwortete ich. »Ich bin dem Emir für seine Nachsicht ausgesprochen dankbar.«
Der giftige
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