Der Gast des Kalifen
froh, mich wieder >im Schoß der Familie< - wie er sagte - begrüßen zu können. »Ich hätte nicht gedacht, dich jemals wiederzusehen«, gestand er mir. »Man sagt, der Emir hielte gerade Hof, und Urteile würden gesprochen.«
»Das stimmt auch«, bestätigte ich. Andere Gefangene versammelten sich um uns, um mir zuzuhören. »Der Emir hält in der Tat Hof, und er scheint von seinen Vasallen zu verlangen, die Treueschwüre zu erneuern.« Ich fuhr fort zu beschreiben, was ich von dem Kommen und Gehen der Edelleute und ihrer Frauen gesehen hatte, und von den Geschenken, die sie gebracht hatten.
Nachdem ich meinen Bericht beendet hatte, fragte Gerhardus: »Was haben sie mit dir gemacht?« Er hatte geglaubt, man habe mich gefoltert und geschlagen.
»Sie haben mich den ganzen Tag lang in der Sonne warten lassen«, antwortete ich, »und dann haben sie mich wieder hierher zurückgebracht.«
»Hast du den Emir gesehen?«
»Ich habe ihn gesehen«, erklärte ich in mürrischem Tonfall. »Ich hatte gehofft, ihn davon zu überzeugen, mich freizulassen; aber er war nicht in der Stimmung, sich von irgendetwas überzeugen zu lassen.«
»Er hat dich leben lassen«, bemerkte Gerhardus. »Das ist doch zumindest schon mal etwas.«
Ich blieb die Nacht über bei den anderen, doch welch Wunder -am nächsten Morgen kamen die Wachen und brachten mich wieder vor das Zelt des Emirs. Wie gestern, so wartete ich auch jetzt, während ein Edelmann und Würdenträger nach dem anderen das Zelt betrat, um dem Emir seinen Respekt zu erweisen. Ich dachte über die Bedeutung dieser Aufwartungen nach, und mir kam der Gedanke, dass der Sieg über Bohemunds Heer für die Seldschuken vielleicht weit mehr bedeutete, als ich ahnte.
Obwohl ich nichts über die Machtverhältnisse wusste, die im Heiligen Land herrschten, so vermochte ich mir doch vorzustellen, dass ein einziger Sieg ausgesprochen weit reichende Folgen für den Mann nach sich ziehen konnte, der ihn errungen hatte. Sicherlich wäre es nicht das erste Mal, dass ein gerissener Landesherr eine bedeutende Eroberung dazu genutzt hätte, seine Macht zu festigen und auszudehnen.
Mehr noch: Ich konnte mir ebenfalls vorstellen, dass dieser Sieg ein so tiefes Loch in die Verteidigung von Antiochia geschlagen hatte, dass ein Führer wie der Emir sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen würde. Was genau Ghazi im Sinn hatte, vermochte ich natürlich noch nicht einmal zu erahnen, aber das Treiben im Lager erweckte in mir den Eindruck, dass er sich Unterstützung für ein bedeutendes Unterfangen holte.
Diese Gedanken beschäftigten mich noch bis kurz nach Mittag, als plötzlich der Atabek von Albistan aus dem Zelt trat, den ich inzwischen für einen der wichtigsten Berater des Emirs hielt. Er stellte sich vor mich, und ich stand sofort auf. Nachdem er mich kurz gemustert hatte, winkte er den Wachen, und ich wurde zum Zelt des Emirs geführt.
Ein arabisches Zelt ist ein wunderliches Ding. Mit nur geringem Aufwand gestalten die Wüstenvölker es so geräumig und bequem wie einen Palast. Das Innere ist oft in kleinere Räume aufgeteilt, in denen man schlafen, essen und anderes machen kann. So besaß auch Ghazis Zelt einen großen Vorraum, wo er seine Gäste empfing, bevor er sie sozusagen in die >inneren Gemächer< führte. In diesen Vorraum wurde auch ich gebracht. Hier lagen dann auch die Geschenke, die all jene gebracht hatten, welche dem Emir Treue schuldeten.
Es gab viele mit Juwelen besetzte Schwerter, Dolche und Schmuckwaffen aller Art - Speere, Schilde, Helme, Bögen und Pfeile - und auch andere Dinge, in deren Herstellung die arabischen Handwerker unübertroffen sind: Kelche, Schüsseln, Teller und be-schnitzte Holzkästchen, die überdies mit Einlegearbeiten aus Gold und Edelsteinen verziert waren. Als ich meinen Blick über diese zusammengewürfelten Schätze schweifen ließ, erkannte ich einige Gegenstände, die offensichtlich aus der Kriegsbeute stammten, welche die Seldschuken bei den Kreuzfahrern gemacht hatten. Ich konnte sogar Bohemunds goldenes Banner erkennen, das um die Fahnenstange gewickelt war, einen edlen, neuen Stahlharnisch auf einer Truhe, ein Paar Panzerhandschuhe mit dem Bild eines Falken, einen silbernen Halsschutz und ein langes Frankenschwert.
Ich betrachtete all die Dinge und mehr, und plötzlich kam mir der Gedanke: Es ist hier... Das Heilige Kreuz ist hier? Konnte das wirklich sein? Mein Herz schlug immer schneller. Nichts von Wert entkam dem suchenden Blick
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