Der Gast des Kalifen
Schild ist eine Beleidigung für unser Volk«, erklärte er. »Wir bitten Euch, Herr: Lasst es abnehmen.«
Der Zenturio, der den Aufruhr sichtlich genoss, welchen er mit seinem unschuldigen Befehl heraufbeschworen hatte, betrachtete die drei fröhlich und schüttelte langsam den Kopf.
»Herr«, flehte der alte Priester, »das ist eine Abscheulichkeit im Angesicht Gottes. Bitte, lasst das Schild sofort entfernen.«
Wieder schüttelte der Offizier den Kopfund erwiderte: »Es bleibt, wo es ist.«
»Wenn es nicht entfernt werden kann«, schlug einer der anderen Ältesten in vernünftigem Tonfall vor, »dann könnte man es doch vielleicht ändern, sodass es ungefähr lauten würde: Dieser Nazarener behauptete, der König der Juden zu sein.«
In diesem Augenblick löste sich einer der Schläger aus der Menge. Bevor irgendjemand ihn aufhalten konnte, rannte er zu der Leiter, kletterte hinauf und hätte fast den Legionär von der obersten Sprosse gestoßen, als er versuchte, das Schild herunterzureißen.
Der Zenturio trat seinem Pferd in die Flanken, galoppierte den Hügel zur Leiter hinauf, packte den Mann am Bein und zog ihn hinunter, sodass er zu Boden fiel. Fluchend und schreiend wälzte der Mann sich herum. Die Priester eilten herbei und flehten den Zenturio an, das Schild zu entfernen, um so den Frieden wiederherzustellen. Aber der römische Offizier, der dieses Geschwätzes allmählich überdrüssig wurde, machte keinerlei Anstalten, sich auf einen derartigen Streit einzulassen. Er befahl seinen Soldaten, den Mann zu entfernen, der versucht hatte, das Schild herunterzureißen; als diese daraufhin den Kerl packten und fortschafften, hallte ein drohendes Donnern vom Himmel herab.
Eine Windböe wirbelte Staub über den Hügel. Der Zenturio richtete den Blick gen Himmel, und als dann die ersten Regentropfen in den Staub fielen, hielt er die Zeit für gekommen, die Menge zu zerstreuen, bevor die Angelegenheit noch außer Kontrolle geriet. An seine Männer gewandt befahl er: »Macht der Sache ein Ende!«
Der große Römer mit der Schürze griff wieder nach seinem Hammer, ging zu einem der Verurteilten und schlug dem Mann mit aller Kraft vors Bein. Das Schienbein brach mit einem Übelkeit erregenden Krachen; es war ein derart widerwärtiges Geräusch, dass selbst die blutrünstige Menge vor Schreck zusammenzuckte. Der Unglückliche stieß ein lautes Wimmern aus und verlor das Bewusst-
sein. Dann zerschlug der Legionär auch das zweite Bein, der Bewusstlose sackte hinunter, und das Gewicht seines eigenen Körpers riss ihm die Arme aus den Gelenken. Kurz erlangte der Geschundene das Bewusstsein wieder und würgte an seiner eigenen Zunge; wenig später war er tot.
Nun ging der Henkersknecht zum nächsten Dieb, der noch klar genug bei Verstand war, um zu wissen, was nun kam. Er flehte den Römer an, ihn zu verschonen; doch der Legionär schenkte dem Jammern keine Beachtung und zerschlug auch diesem Mann die Beine. Das zweite Opfer hatte nicht so viel Glück wie das erste: Der Dieb verlor nicht das Bewusstsein, sondern schrie und wand sich, während er verzweifelt versuchte, sich in die Höhe zu ziehen, um Luft in seine Lunge zu bekommen. Sein Zucken war mitleiderregend; zerbrochene Knochen ragten aus seinen Beinen heraus, und jede Bewegung verursachte dem Mann neue Qualen.
Nun richtete der große Römer seine Aufmerksamkeit aufsein letztes Opfer. Er holte mit dem Hammer aus, doch im letzten Augenblick hielt er inne. Nach einem kurzen Blick ins Gesicht des Gekreuzigten verkündete er: »Der hier ist schon tot.«
Als die jüdischen Ältesten das hörten, riefen sie: »Wie kann das sein? Es ist noch lange nicht Abend!«
Einer der Ältesten, ein Mann in rotem Gewand und mit einer schweren Goldkette um den Hals, trat vor. »Seht her, Zenturio«, sagte er in gebildetem Latein. »Die Leute haben Recht. Der Mann hat nur die Besinnung verloren. Weckt ihn wieder auf. Ihr werdet sehen.«
Der Henker hörte das und wurde wütend. »Nennst du mich einen Lügner?«, knurrte er.
»Aber keineswegs!«, erwiderte der Älteste und hob abwehrend die Hände. »Doch dieser Jesus ist als Zauberer bekannt. Er könnte seine Magie benutzen, um uns seinen Tod vorzuspielen. Lasst Euch nicht täuschen. Tut einfach nur Eure Pflicht.«
»Ich kenne meine Pflicht«, zischte der große Römer und trat auf den Mann zu. »Und ich erkenne auch einen toten Mann, wenn ich
einen sehe.« Er wedelte mit seinem Hammer. »Vielleicht willst du ihm im Hades
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