Der Gast des Kalifen
erreichte schließlich einen Innenhof, wo wir in der Sonne warten sollten, während der Gesandte in einer der vielen Räume verschwand, die den Hof umgaben. Bei dem Hof handelte es sich um eine grasbewachsene Fläche mit kleinen Bäumen allerlei Art, die sorgfältig geschnitten und angeordnet waren, sodass sie gut zur Geltung kamen. Pfauen putzten sich in den niedrigen Ästen oder paradierten im Sonnenlicht, und weiße Tauben flatterten um einen Brunnen mit fließendem, klarem Wasser herum. Blumen in riesigen Steintöpfen erfüllten die Luft mit einem wunderbaren Duft und zogen fröhlich summende Bienen an.
Dieses Paradies wurde an drei Seiten von den königlichen Gemächern begrenzt; die vierte bildete eine hohe, mit Weinranken bewachsene Mauer. Jedes der königlichen Gemächer besaß einen so genannten >Balkon<: eine überdachte, doch ansonsten offene Plattform, die an der Außenseite des Obergeschosses befestigt und von einem hölzernen Geländer umgeben war. Diese Balkone sind im trok-kenen Osten durchaus üblich, erlauben sie es doch den Menschen, der Hitze des Tages zu entfliehen und gleichzeitig eine kühle Brise zu genießen.
In der Stadt hatte ich viele solcher Balkone gesehen, einige mit reich verzierten Holzschirmen verkleidet; diese Balkone hier, die den Hof umgaben, waren jedoch offen, sodass die Bewohner der Gemächer die Schönheit und Ruhe des Gartens genießen konnten.
Während wir in der Sonne warteten, erschien auf einem der Bal-kone ein großer, fetter Mann in goldenem Gewand und mit goldenem Turban; er betrachtete uns kurz, dann schlurfte er wieder davon. Ein paar Augenblicke später wurde ich mit dem Rest des Gepäcks in eine kleine, mit Holz ausgelegte Halle jenseits des Hofes geführt, wo eben der fette Mann die Geschenke im Namen des Kalifen entgegennahm.
Der Mann balancierte seinen beachtlichen Leib auf einem Stuhl vor einem kleinen Tisch, auf dem ein Blatt jenes wunderbar dünnen ägyptischen Pergaments lag. Darauf verzeichnete er alle Gegenstände, die die Träger nach und nach zu ihm brachten. Ich beobachtete, wie sowohl die Kiste mit Fürst Bohemunds einbalsamiertem Kopf als auch der Schwarze Stamm pflichtgemäß aufgelistet und gemeinsam mit dem Rest des Schatzes fortgeschafft wurden - wohin, das vermochte ich nicht zu sagen.
Dann war ich an der Reihe. Der Mann blickte von seiner Liste auf, musterte mich kurz und lächelte. »Ah«, sagte er und stand auf. Zunächst sprach er Latein, dann Griechisch, und schließlich fragte er mich, welche Sprache ich vorziehen würde.
»Latein, wenn es Euch nichts ausmacht, Herr.«
»Natürlich nicht«, erwiderte der Mann. »Ich bin der Emir Abu Rafidi«, so stellte er sich vor und erklärte mir, er sei der offizielle Katib des Kalifen, was unter anderem bedeute, dass er die Aufsicht über die Diener, die anderen Schreiber und die meisten Höflinge habe, wodurch es auch seine Pflicht sei, die Geschenke des Kalifen von Bagdad entgegenzunehmen. Da ich nun einmal Teil dieser Geschenke sei, müsse er auch mich auflisten, und er hoffe, dass mich diese kleine Formalität nicht allzu sehr störe. »Man hat mir gesagt, Ihr seid ein Edelmann, der nicht mehr darauf hoffen kann, freigekauft zu werden«, sagte er.
»Im Gegenteil«, entgegnete ich. »Ich bin durchaus noch guter Hoffnung, dass meine Freunde noch kommen werden. Ich vermute jedoch, dass es ihnen recht schwer fallen wird, mich zu finden, zumal ich seit meiner Gefangennahme ständig von einem Ort zum anderen gebracht worden bin.«
»Ich verstehe«, erwiderte der Katib. »Man hat mir ebenfalls berichtet, Ihr wärt ein Spion, den der Kalifvon Bagdad zum Tode verurteilt hat. Ist das wahr?«
»Nicht ganz«, antwortete ich. »Zwar entspricht es der Wahrheit, dass der Kalif befohlen hat, mich hinzurichten, doch bin ich kein Spion.«
Ob meiner Antwort verzog der Emir sein fettes Gesicht zu einem Lächeln. Er schien ein recht fröhlicher Mann zu sein, und ich gewann rasch den Eindruck, dass er mir nichts Böses wollte. »Es bedürfte schon eines sehr außergewöhnlichen Mannes, so etwas einfach zuzugeben.«
Ich stimmte ihm zu, betonte aber, dass ich dennoch die Wahrheit gesagt hätte.
Der Emir kehrte an seinen Tisch zurück und blickte aufdas Pergament vor ihm. Ich sah deutlich, dass er angestrengt darüber nachdachte, was er denn nun schreiben sollte. Vorsichtig ließ er sich auf den kleinen Stuhl herab, verschränkte die Arme, legte das Kinn in die Hand und tippte sich mit dem Finger auf die
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