Der Gast des Kalifen
erst vor vier Tagen in der Stadt eingetroffen und brennt nun darauf, seinen Feldzug vorzubereiten«, erklärte uns Renaud. »Wenn wir ihn noch rechtzeitig davon abbringen wollen, dann ist das hier vermutlich unsere einzige Gelegenheit.« Er rief seinen Sergeanten zu sich; dann wandte er sich wieder an uns. »Geht, und macht Euch ein wenig frisch«, sagte er. »Gislebert wird Euch in den Palast bringen, sobald Ihr fertig seid. Ich werde dort auf Euch warten.«
Der Sergeant führte uns durch eine niedrige Tür auf einen kleinen Hof, der von mehreren Kasernen im alten römischen Stil umgeben war, den Quartieren der Templer. Der Hof war voller Männer, die ihre Brüder willkommen hießen und sie mit der neuen Umgebung vertraut machten. Gislebert führte uns zu einem Springbrunnen in der Mitte des Hofs. Grimmig, nervös und steif schaute Roupen Padraig und mir zu, wie wir uns Wasser aus dem steinernen Becken ins Gesicht spritzten.
»Ich werde mit euch gehen«, sagte er plötzlich.
»Nein«, widersprach ich. »Das wäre nicht besonders klug.«
»Ich kann hier nicht allein warten. Was ist, wenn jemand Bohe-mund erzählt, dass ich hier bin?«
»Komtur Renaud hat uns sein Wort gegeben«, erwiderte ich geduldig. »Solange du hier in der Komturei bleibst, bist du in Sicherheit. Aber wage ja nicht, dein Gesicht oben im Palast zu zeigen.«
»Ich fürchte mich nicht«, verkündete Roupen tollkühn. »Ich werde selbst mit Bohemund sprechen.«
»Vielleicht wirst du wirklich Gelegenheit haben, mit dem Fürsten zu sprechen«, erklärte ich. »Aber bevor wir unseren ursprünglichen Plan aufgeben, sollten wir vielleicht erst einmal herausfinden, was für eine Art Mann dieser Bohemund ist.«
»Und was soll ich tun, solange ihr fort seid?«, fragte Roupen unglücklich und trat gegen die steinerne Brunnenwand.
»Geduldig warten«, antwortete Padraig, »und dafür beten, dass unser Gespräch mit dem Fürsten Früchte trägt und Bohemund sich reumütig zeigt.«
»Und wenn er nichts dergleichen tut?«, schnappte Roupen wütend. Er konnte nicht anders, und ich vermochte ihm das auch nicht vorzuwerfen. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, hätte ich mich vermutlich genauso verhalten.
»Wir können nur jeweils eine Brücke überqueren«, erwiderte ich.
»Vertrau auf Gott«, ermutigte ihn Padraig. »Öffne dem Herrn dein Herz und ergib dich in seine gnädige Hand. Vertrau auf ihn, und er wird dir in deiner Not zur Hilfe kommen.«
Roupen akzeptierte dies mit düsterer Nachsicht und schwieg. Nachdem wir uns gewaschen und so ansehnlich wie möglich hergerichtet hatten, wandte ich mich noch einmal an den jungen Fürstensohn. »Bleib ruhig, und rühr dich nicht von hier weg. Wir werden so bald wie möglich wieder zurückkehren«, versprach ich und legte ihm die Hand auf die Schulter. »So Gott will, werden wir dir gute Nachrichten bringen.«
Dann folgten wir Gislebert aus dem Hof hinaus und durch ein verwirrendes Labyrinth kleiner Gassen und Treppen hinauf ins Herz der Stadt zur alten Zitadelle, in deren Palast der Fürst von Antio-chia Hof hielt.
ohemunds Palast erinnerte mich an eine hochwohlgeborene Frau, die durch unglückliche Umstände in die Armut getrieben worden war. Ohne Zweifel war die königliche Residenz einst ein wahres Juwel gewesen, doch Jahre der Gleichgültigkeit und der Vernachlässigung durch die Bewohner hatten ihre hervorstechendsten Merkmale verunstaltet. Wertvolle Holzpaneele waren zerfurcht und verkratzt; kostbare Seidenteppiche waren ausgefranst, und einst leuchtende Wandmalereien waren von öligem Rauch und Ruß verklebt. Die polierten Böden waren an vielen Stellen verrottet und von den Schritten unzähliger Stiefel stumpf geworden. Mehrere der äußeren Gänge waren überdies mit allem möglichen Abfall voll gestopft, und der Geruch menschlicher Ausscheidungen stieg dem Besucher sofort in die Nase, da er das Tor durchschritt.
Alles in allem betrachtet umgab den Ort eine Aura des fortschreitenden Verfalls und des Niedergangs. Es tat mir in der Seele weh, zu sehen, wie der Palast langsam vor sich hin moderte, und ich konnte nicht anders, als den gedankenlosen Herrn zu tadeln, der so etwas geschehen ließ. Natürlich gab es weit Schlimmeres auf der Welt, wie ich sehr wohl wusste, doch diese Umgebung strahlte eine - wie soll ich sagen - bösartige Gleichgültigkeit aus, die ich einfach nicht ertragen konnte. Welcher Teil davon der gegenwärtige Hausherr zu verantworten hatte, vermochte ich allerdings nicht zu
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