Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
Vom Netzwerk:
ein Erinnerungsstück. Und alles andere, was du mir gegeben hast.«
    Neal hatte plötzlich Mitleid mit ihr. Er schüttelte den Kopf. »Wie kann es sein, dass du nichts hast? Du bist immerhin achtzehn?«
    »Kommt drauf an, welchen Führerschein ich benutze.«
    »Ich meine es ernst«, sagte er.
    »Du nimmst immer alles so schwer, und ich will nicht, dass du wieder anfängst zu weinen.«
    »Ach, komm.«
    »Wieso? Es stimmt doch.«
    »Du hättest eigentlich schlafen sollen letzte Nacht, als das passiert ist. Ich wusste nicht, dass du mich ausspionierst.«
    »Ich hab dich nicht ausspioniert, ich hab dein wundersames Innenleben besichtigt.«
    »Ha, ha.«
    Sue lachte leise und strich über sein Bein. »Jedenfalls hatte ich alle möglichen guten Sachen. Aber es ist alles verbrannt. Meine ganzen Erinnerungsstücke, meine Kleider, mein Hund Sparkle, meine Schwester Betty. Und meine Eltern auch.«
    Neal drehte sich mit einem halben Lächeln auf den Lippen zu ihr – sie musste ihn einfach auf die Schippe nehmen.
    Er sah, dass sie versuchte, vergnügt zu wirken, doch in ihren Augen spiegelte sich Verzweiflung wider.
    »Oh, mein Gott«, stöhnte Neal.
    »Schon gut«, sagte Sue.
    »Deine … ganze Familie?«
    »Mein Kater Fraidy hat überlebt. Aber ein paar Wochen später wurde er von einem Auto platt gefahren. Wir beide sind zusammen abgehauen. Er hat’s nicht lang geschafft. Weil Katzen nun mal nicht gerade helle sind. Das wissen viele Leute nicht. Sie tun so, als wären sie kleine Genies, aber in Wirklichkeit sind die meisten von ihnen dumm wie Brot. Deswegen klettern sie auf Bäume, wo sie nicht mehr runterkommen, sperren sich irgendwo ein oder werden platt gefahren.«
    Neal hatte Tränen in den Augen und einen Kloß im Hals gehabt, doch Sues Schmährede auf die Katzen heiterte ihn wieder ein wenig auf. Er atmete tief durch.
    »Geht’s dir gut?«, fragte Sue.
    »Ja. Es ist nur …«
    »Dumm gelaufen. Hast du den Ausdruck schon mal gehört?«
    »Ja«, sagte Neal. »Das sage ich auch manchmal.«
    »Tja, jetzt geht’s mir jedenfalls gut. Irgendwie. Ich mein, was soll man machen? Sich in einem Loch verkriechen und sterben? Ohne mich.«
    »Du bist abgehauen?«
    »Ja. Ich und Fraidy. Nur hat er es nicht überlebt.«
    »Wie alt warst du?«
    »Fünfzehn.«
    » Fünfzehn? Mein Gott … das ist zu jung, um alleine klarzukommen.«
    »Tja, sie wollten mich in ein Waisenhaus stecken. Da konnte ich drauf verzichten.«
    »Was war mit der Schule?«
    »Nach dem Feuer bin ich nicht mehr hingegangen.« Grinsend fügte sie hinzu: »Ich glaub, man merkt es mir nicht an.«
    »Nur wenn du den Mund aufmachst.«
    »Hey!« Sie gab ihm einen Klaps auf den Oberschenkel. »Ich werd schon besser. Das muss dir doch auffallen.«
    »Ja, stimmt.«
    »Ich arbeite dran.« Sie kniff die Augen zusammen. »Ich wette, du hast noch nicht mal gemerkt, dass ich mit den Kaugummis aufgehört hab.«
    Sie hatte recht. »Wirklich? Wann denn?«
    »Gestern. Kein Einziges mehr, seit du mit Marta telefoniert hast.«
    »Echt?«
    »Seit du mich einen Kaugummi kauenden Hohlkopf genannt hast.«
    »Das habe ich nicht so gemeint.«
    »Mach dir deshalb keine Gedanken. Ich weiß, dass du sie nur aufs Glatteis führen wolltest. Aber irgendwie hast du es auch so gemeint. Deshalb will ich mich bessern.«
    »Du musst dich nicht …«
    »Ich will dich glücklich machen.«
    »Ich werde aber nicht glücklich, wenn ich weiß, dass ich dich gezwungen habe, mit dem Kaugummikauen aufzuhören.«
    »Hm …« Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht fang ich ja irgendwann wieder an.«
    »Kommen wir zurück zu dir «, sagte Neal. »Wie lange hast du in Mojave gelebt?«
    »Ziemlich genau ein Jahr.«
    »Und du willst wirklich nichts mitnehmen, wenn wir da vorbeifahren?«
    »Nein.«
    »Kein Geld, keinen Schmuck oder …?«
    »Ich hab mein Geld dabei, alles, was nicht auf der Bank liegt. Ich hab mein Scheckbuch. Schmuck hab ich nicht.«
    »Einen Fernseher, ein Radio, Bücher?«
    »Der Fernseher gehört Sunny. Das Radio war meins, aber ich brauch es nicht mehr.« Sie klopfte gegen das Autoradio. »Du hast ja eins. Vermutlich hast du auch eine Menge Bücher.«
    »Stimmt.«
    »Du bist Schriftsteller.«
    »Hast du irgendwelche Freunde?«
    »Soll das ein Witz sein?«
    »Ich meine in Mojave. Jemanden, den du auf der Durchreise besuchen willst?«
    »Hey, weißt du was? Ich bin auf dem Weg nach Los Angeles, ich sterbe nicht. Ich muss mich nicht von jedem Hinz und Kunz verabschieden. Wenn ich jemanden vermisse,

Weitere Kostenlose Bücher