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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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gelassen hätte. Mein Gott, ich wünschte, ich hätte es nicht getan. Es war so gemein und widerlich. Scheiße! Wie konnte ich ihr so etwas antun? Ihr das Kinn aufschlagen …
    Neal begann zu weinen.
    Er schlang seine Arme um Sue und hielt sie zärtlich. Tränen liefen ihm über beide Wangen. Auf der rechten Seite wurden sie von Sues Kopf aufgehalten, auf der linken tropften sie in sein Ohr und kitzelten ihn.
    Ich werde ihr nie mehr wehtun, schwor er sich. Ich werde niemals zulassen, dass ihr jemand wehtut. Ich werde immer bei ihr bleiben und sie beschützen.
    So wie ich Elise beschützt habe?
    Er sah die tote Elise vor sich.
    Schon wieder.
    Und dann nahm sein Geist – als hätte er seine eigenen Launen und wollte ihn quälen – ein paar Änderungen an dem schrecklichen Bild vor. Die verstümmelte Leiche auf dem Rand der Badewanne wurde zu Sue.
    Nein! Das wird nicht passieren. Auf keinen Fall.
    Er hielt Sue sanft in den Armen. Er spürte ihre Wärme und ihr Gewicht, ihren Herzschlag und ihren Atem. Und er empfand ein niederschmetterndes Verlustgefühl.
    Was immer auch geschehen wird, dachte er, so eine Zeit werden wir nie wieder erleben. Das war das Beste. Man kann nichts wiederholen.
    »Wer zum Teufel sagt das?«, flüsterte Sue.
    Neal dachte einen Augenblick, er hätte sich ihre Stimme nur eingebildet. Doch dann hob sie den Kopf und sah ihn an.
    Ihre Augen waren feucht und gerötet.
    »Doch, wir werden noch mehr schöne Zeiten erleben«, sagte sie. »Doch. Man kann es wiederholen.«
    Sie begann zu zittern und zu schluchzen.

36
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    »Was ist mit Mojave?«, fragte Neal. Es war fünf Uhr nachmittags. Sie waren bis Mittag, als sie ihr Zimmer räumen mussten, im Apache Inn geblieben, hatten bei Puncho Viva gegessen, ein wenig den Ort erkundet, ein paar Souvenirs und Proviant gekauft und saßen seit kurz nach eins im Auto.
    »Was soll mit Mojave sein?«, fragte Sue stirnrunzelnd.
    »Was hast du vor, wenn wir dort sind?«
    »Was meinst du?«
    »Du wohnst doch da«, erklärte Neal.
    Sie sah ihn mit erhobenen Brauen an. »Also, du kannst mich da absetzen und alleine weiterfahren.«
    Bei diesen Worten wurde ihm flau im Magen. Er wusste, dass sie nur Spaß machte, aber …
    Sie drückte seinen Oberschenkel. »Es war trotzdem schön mit dir, George.«
    »Ich heiße Neal«, sagte er.
    »O Mann! Wie konnte ich nur deinen Namen vergessen?«
    Erleichtert lächelnd drückte er Sues Hand auf sein Bein. »Wir fahren sowieso durch Mojave«, sagte er. »Meinst du nicht, wir sollten anhalten? Willst du niemandem sagen, wo du hinfährst? Hast du keine Sachen, die du mitnehmen möchtest?«
    »Nö.«
    »Was?«
    »Ich hab ihnen gesagt, dass ich für immer weggehe.«
    »Was?«
    »Ja.«
    »Das glaub ich nicht.«
    »Doch, wirklich.« Sie lächelte Neal so wild und fröhlich und entwaffnend an, wie sie es noch nie getan hatte. »Ich hab Sunny gesagt: ›Ich hau mit dem Typen an Tisch fünf ab.‹ Sunny meinte: ›Was?‹, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. ›Er ist mein Traummann‹, hab ich dann gesagt. ›Er nimmt mich für immer mit.‹«
    Neal starrte sie verblüfft an.
    »Sieh lieber auf die Straße, Süßer«, sagte sie.
    Er blickte nach vorn. »Das denkst du dir nur aus. In Wirklichkeit hast du nichts davon gesagt.«
    »Wetten? Wenn du mir nicht glaubst, können wir bei Sunny vorbeifahren. Du kannst sie selber fragen. Oder noch besser, benutz einfach das Armband bei mir. Komm rein, und du siehst, ob ich lüge.«
    Neal schüttelte den Kopf. »Schon okay«, sagte er. »Ich glaube dir.«
    »Gut. Das hab ich nämlich wirklich zu Sunny gesagt.«
    »Aber du kanntest mich noch nicht mal.«
    »Ich hatte so ein Gefühl.«
    »Mein Gott, du bist wirklich verrückt.«
    »Meinst du, ich hab mich geirrt?«
    »Nein, aber …«
    »Ich hätte mich irren können, aber ich hatte recht. Jedenfalls müssen wir nicht in Mojave anhalten. Niemand rechnet damit, dass ich zurückkomme.«
    »Was ist mit deinen ganzen Sachen?«
    »Ich hab Sunny gesagt, sie soll sie behalten.«
    »Das war großzügig.«
    »Tja, sie hat mir ein Zimmer vermietet. Die Möbel haben alle ihr gehört. Ich hatte nicht viel da drin, außer ein paar Klamotten, und die waren nix … äh … nichts Besonderes. Sunny hat eine Tochter in meinem Alter …« Sue zuckte die Achseln. »Ich hab ihr gesagt, sie soll alles behalten.«
    »Hast du keine Erinnerungsstücke oder so?«
    »Nein.«
    »Nichts?«
    »Nein.« Sie zog die Mundwinkel hoch. »Jetzt hab ich Dart. Der ist für mich

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