Der Gast: Roman
Kurve? Oder war er weg? Mit Elise darin?
Als Neal in die Einfahrt bog, strichen die Scheinwerfer über das offene Eisentor und beleuchteten das Heck eines schwarzen Lieferwagens, der vor Elises Garage parkte.
Der Anblick traf ihn wie ein Tritt in den Magen.
Sie sind noch hier, dachte er. O Gott.
Er schaltete Licht und Motor aus, zog den Zündschlüssel heraus und nahm das Schlüsselmäppchen in die linke Hand. Mit der rechten öffnete er die Mittelkonsole und wühlte darin herum.
Komm schon, komm schon, wo ist es?
Er fand das Reservemagazin.
Riss die Tür auf und sprang hinaus.
Während er auf den Lieferwagen zurannte, steckte er das Schlüsselmäppchen ein. Er klemmte sich das stählerne Magazin zwischen die Zähne, griff tief in die rechte Hosentasche und zog die Pistole heraus.
Im Lieferwagen war es dunkel und still.
Der Motor lief nicht.
Noch nicht.
Du fährst nirgendwo hin, du Schwein, dachte er.
Er lief geduckt am Heck vorbei, drückte die Mündung auf den Reifen und schoss. Der Knall betäubte seine Ohren. Die Waffe ruckte in seiner Hand. Er blieb nicht stehen, um das Ergebnis zu begutachten, sondern eilte weiter zum rechten Vorderreifen und schoss ihn ebenfalls platt.
Dann warf er einen Blick durch das Seitenfenster.
Auf den Vordersitzen war niemand.
Er überlegte, ob er den Wagen kurz durchsuchen sollte. Doch er bezweifelte, dass sich jemand darin befand. Und er wollte keine Zeit darauf verschwenden, die Tür zu öffnen und hineinzuklettern.
Ein paar verlorene Sekunden könnten für Elise den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.
Er rannte weiter. Während er auf die Ecke des Hauses zulief, wechselte er das Magazin und lud eine neue Patrone in die Kammer. Auf dem Weg durch den kleinen Obsthain steckte er das alte Magazin in die Tasche. Er eilte zwischen den Stämmen hindurch, duckte sich unter herabhängenden Ästen. Plötzlich endeten die Bäume. Er stand auf der Betonumrandung des Pools.
Durch die Glastür von Elises Schlafzimmer drang Licht.
Neal rannte darauf zu.
Offen.
Ich bin der Letzte, der dort hineingegangen ist, dachte er.
Elise hatte das Handtuch vom Liegestuhl genommen, und Neal war ihr durch die Schiebetür ins Haus gefolgt.
Er konnte sich nicht darin erinnern, die Tür verriegelt zu haben.
Habe ich abgeschlossen?, fragte er sich. Habe ich die Tür überhaupt zugemacht?
Auf diesem Weg musste er ins Haus gelangt sein.
Scheiße!
Das spielt jetzt keine Rolle, sagte Neal sich.
Er stürmte durch die Tür.
In Elises Schlafzimmer hatte sich fast nichts verändert, seit er es zum letzen Mal gesehen hatte. Nur das große blaue Handtuch lag nicht mehr auf dem Bett, wo sie es hingeworfen hatte.
Die Tür zum Bad auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers war nur angelehnt.
Licht fiel durch den Spalt.
Neal sprang auf das Bett und rannte über die Matratze, die unter seinen Füßen federte. An der anderen Seite sprang er hinunter und lief auf das Bad zu.
»Hey!«, brüllte er. Keine Antwort.
Er trat die Tür auf. Sie knallte gegen die Wand und schwang zurück.
In dem kurzen Augenblick, als sie offen stand, entdeckte Neal einen kleinen, glänzend blauen Kleiderhaufen auf dem Boden. Elises Pyjama?
Doch Elise selbst sah er nicht.
Und auch ihren Angreifer nicht.
Er schob die Tür vorsichtig mit dem Knie auf, damit sie nicht wieder zurückflog.
Der Raum war viel größer als das Gästebad. Auf der rechten Seite befand sich ein langer Waschtisch mit zwei Becken und Schränken darunter. Ein Spiegel nahm die ganze Länge der Wand ein. Gegenüber dem Eingang war die Toilette.
Vom Türrahmen aus, wo Neal stand, konnte man die Badewanne nicht sehen.
Doch es schien eine große Nische zur Linken zu geben, gleich hinter dem Kleiderhaufen auf dem Boden.
Er ging darauf zu.
Sie sind nicht hier, dachte er. Ich vergeude Zeit.
Was ist mit ihrem Pyjama?
Dann sah er Elise.
In dem Spiegel zu seiner Rechten.
Ein Stöhnen entwich seiner Brust.
Er sagte sich, es sei vielleicht gar nicht so schlimm, wie es aussah. Im Spiegel erscheinen die Dinge verzerrt.
Er wandte sich vom Spiegel ab und ging weiter, stieg über Elises Pyjama und fand sie. Es lag nicht am Spiegel. Es war keine Verzerrung.
Die Badewanne war in den Boden eingelassen, rechteckig, gekachelt wie ein kleiner Swimmingpool und von einem Sims umgeben.
Sie saß auf dem Sims gegenüber, ihre Füße in der Wanne.
Die Arme waren zu den Seiten ausgebreitet und an den Handgelenken mit Klebeband an die verchromten
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