Der Gast: Roman
sie befürchtete, der Klebestreifen würde dann überhaupt nicht mehr halten, und entschied sich dagegen.
Sie drückte den unteren Teil gegen den Brustkorb und hob die herabgefallene Seite mit dem Zeigefinger an. Durch das dünne Polster berührte sie die Wunde, und Neal spürte einen stechenden Schmerz. Dann strich sie den oberen Klebestreifen an der Unterseite der Brust fest.
Ihre Brust fühlte sich weich und geschmeidig an.
O Mann, dachte Neal.
Sie rieb noch einmal über das Pflaster,
Jetzt bleib kleben.
Jemand war erregt.
Es schien nicht Elise zu sein.
Wie kann ich erregt sein?, fragte sich Neal. Ich bin ein … ein Nichts. Ich kann nicht scharf werden.
Doch es fühlte sich so an.
Er wünschte, Elises Finger würden weiter nach oben wandern, über das Pflaster hinaus, sodass er ihre nackte Haut spüren konnte. Doch sie ließ die Hand sinken, zog sie unter dem Pyjama hervor und nahm das Glas.
Mit der Hand, in der sie das Aspirin hielt, drehte sie den Wasserhahn auf. Sie füllte das Glas zur Hälfte, warf sich die beiden Tabletten in den Mund und trank. Die Pillen wurden mit dem ersten Schluck hinuntergespült.
Elise überprüfte, wie viel Wasser noch im Glas war. Es stand ein paar Zentimeter hoch.
Das sollte genügen.
Sie stellte das Glas ab.
Okay, dachte Neal, ich sollte mich lieber beeilen. Ich bin nicht hergekommen, um mich zu amüsieren. Ich muss ihr von Rasputin erzählen – auch wenn er nicht hier ist.
Genau. Aber wie?
Es muss eine Möglichkeit geben.
»Elise!«, rief er im Geiste. »Elise!«
Er brüllte in ihrem Kopf: »Ich bin’s, Neal! Ich bin in dir! Der Typ ist nicht tot! Hörst du mich? Er ist nicht tot! Es könnte sein, dass er hinter dir her ist!«
Er konzentrierte sich auf ihre Gedanken.
Wahrscheinlich muss ich mitten in der Nacht pinkeln. Wem will ich eigentlich was vormachen – es ist doch schon mitten in der Nacht.
Verdammt!
Es muss eine Möglichkeit geben, mit ihr zu kommunizieren!
Elise griff in die Brusttasche. Mit den Fingerspitzen zog sie das Alka-Seltzer-Päckchen heraus.
Als sie es ansah, blickte sie auf Neals Visitenkarte.
Sie hatte sie zusammen mit dem Päckchen gegriffen.
»Ah«, sagte sie.
Hoffentlich ist er gut nach Hause gekommen. Er hatte es nicht weit. Warum rufe ich ihn nicht an? Nein, nein, nein. Ich könnte ihn wecken. Außerdem hat er seine Marta. Ich möchte nicht, dass er glaubt, ich wollte mich dazwischendrängen.
Sie schob die Karte zurück in die Tasche, dann riss sie die Folie auf, drehte das Päckchen um und ließ die beiden weißen Tabletten in das Glas fallen. Sie begannen zu sprudeln.
Vielleicht kann ich sie dazu bringen, etwas zu tun, dachte Neal. Wenn ich ihre Hand zwingen könnte, sich zu bewegen … Ich könnte sie eine Warnung schreiben lassen.
Während Elise zusah, wie das Wasser in dem Glas weiß wurde und sich mit Bläschen füllte, waren ihre Hände damit beschäftigt, die leere Folie zu einem winzigen harten Rechteck zusammenzufalten.
Neal legte seine ganze Kraft in ihre rechte Hand.
Lass es los, dachte er.
Die Hand warf die Folie auf die Theke und nahm das Glas.
Die ist beschäftigt, dachte er. Versuch’s mal mit der linken Hand, die tut gerade nichts.
Lass sie auf die Theke klopfen.
Die Hand hing an ihre Seite herab und strich leicht über den Oberschenkel, während Elise das sprudelnde Wasser hinunterkippte.
Es funktioniert nicht, dachte Neal.
Plötzlich hatte er das Gefühl, zu ersticken. Er versuchte zu atmen. Es ging nicht. Seine Lungen brannten.
Was zum …?
Elise holte Luft.
Gott sei Dank, dachte er.
Nach einigen schnellen Atemzügen trank sie weiter. Es war nicht mehr viel übrig. Noch ein paar Schlucke, die keine Probleme bereiteten, und dann war das Glas bis auf einen weißen pulvrigen Rückstand leer.
Elise spülte das Glas aus und stellte es neben der Spüle ab. Dann atmete sie tief durch. Es fühlte sich herrlich an, als die Luft in ihre Lungen strömte. Doch durch die Dehnung ihres Brustkorbs löste sich erneut das Pflaster.
Verdammt. Na, wenigstens halten die anderen.
Sie schaltete das Licht aus, ging um die Theke herum und auf die Diele zu.
Neal bekam mit, dass sie auf einer nonverbalen Ebene beschloss, nicht mehr an dem Pflaster herumzufummeln, sondern es bis morgen zu lassen, wie es war.
Doch diese Entscheidung schien sie nicht zufriedenzustellen.
Ich will meinen Pyjama nicht vollbluten. Soll ich ihn ausziehen? Gute Idee, dann blute ich auf das Laken.
Vermutlich ist es schon geronnen
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