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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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Haltegriffe gebunden. Sie war nach vorn gebeugt, und die Griffe schienen den Großteil ihres Gewichts zu halten. Ihr Kopf hing herab, sodass Neal ihr Gesicht nicht sehen konnte.
    Es war kein Wasser in der Wanne.
    Der geflieste Boden war voller Blutlachen und roter Spritzer.
    Das Handtuch vom Bett lag zusammengeknüllt neben ihren Füßen. Es war vollgesogen und nicht mehr sehr blau.
    Neal stieg in die Wanne.
    Er musste ihr Gesicht sehen.
    Vielleicht ist es ja gar nicht Elise, dachte er. Vielleicht ist es nur ein Trick, damit ich denke, sie sei tot, und in Wirklichkeit ist es eine andere Frau.
    Das kann sie nicht sein, sagte er sich. Nicht dieses grausam entstellte Wrack.
    »Nein«, murmelte Neal. »Nein, nein.«
    Die Fliesen waren rutschig.
    Er ging vor ihr in die Hocke und sah ihr ins Gesicht. Haarsträhnen klebten an der blutigen Stirn. Ihre Augen waren weit aufgerissen und quollen hervor. Ein dickes Stück rosafarbener Seife klemmte zwischen ihren Zähnen.
    Er sah schnell zur Seite und stand auf.
    Plötzlich wurde ihm schwindelig und schwarz vor den Augen. Er blinzelte. Alles war von einer zuckenden blauen Aura umgeben. Sein Herzschlag dröhnte in den Ohren.
    Mein Gott, ich werde ohnmächtig.
    Neal taumelte zurück und setzte sich auf den Rand der Badewanne. Er beugte sich vor und ließ den Kopf hängen. Zwischen seinen Knien sah er auf die gekachelten Stufen.
    Als er wieder klar im Kopf wurde, fiel ihm auf, dass auf den Stufen kein Blut war.
    Vielleicht hat der Kerl dazu das Handtuch gebraucht, dachte er. Er hat damit hinter sich sauber gemacht und es dann in die Wanne geworfen.
    Neal hielt den Kopf abgewandt, sodass er Elise nicht ansehen musste, und stieg rückwärts die Stufen hinauf. Dann drehte er sich um und wich von der Badewanne zurück.
    Er hinterließ blutige Schuhabdrücke.
    Sie werden glauben, dass ich es getan habe.
    Die Spurensicherung würde seine Schuhabdrücke in Elises Blut finden, seine Fingerabdrücke überall im Haus … seine Haare im Abfluss der Dusche im Gästebad, sogar Spuren seines Bluts auf den Taschentüchern, mit denen er nach dem Duschen seine Schürfwunden abgetupft hatte.
    Und noch weitere Indizien.
    Sauber zu machen und sämtliche Spuren zu beseitigen kam ihm wie eine unlösbare Aufgabe vor. Selbst wenn er Stunden damit verbrachte, konnte er wahrscheinlich nicht jeden Abdruck, jeden Fleck, jedes Haar …
    Vergiss es, dachte er.
    »Ist doch egal«, murmelte er.
    Ihm war übel, er war verwirrt, müde, verängstigt.
    Wo ist das Schwein, das sie ermordet hat? Das würde ich gern wissen. Ich muss ihn mir vorknöpfen. Er ist bestimmt irgendwo hier.
    Der Lieferwagen fährt jedenfalls nirgendwo hin.
    Er fragte sich, ob die Polizei bald auftauchen würde.
    Nur, wenn jemand meine Schüsse gemeldet hat, dachte er.
    Falls Elise recht hatte, was die Nachbarn betraf, müssten schon ein Dutzend Anrufe bei der Polizei eingegangen sein.
    Also, wo bleiben sie?
    Mit einem Mal hatte er das merkwürdige Gefühl, in ein fremdes Land geraten zu sein – in eine unwirkliche, verdrehte Kopie von Los Angeles, wo nichts so funktionierte, wie es sollte.
    Ein Ort, an dem Psychopathen nicht sterben, wenn man sie erschießt.
    Ein Ort, an dem eine Maid in Not nicht gerettet werden kann.
    Ein Ort, an dem magische Armbänder es einem zwar ermöglichen, in Leute einzudringen, aber nicht, ihnen zu helfen.
    Ein Ort, an dem nie die Polizei kommt.
    Er überlegte, ob er selbst die Polizei rufen sollte.
    Vielleicht könnten sie die Gegend umstellen und den Mörder fangen.
    Sie werden glauben, dass ich es war.
    Wo ist er?, fragte sich Neal. Er drehte sich um und bemerkte, dass er über Elises Pyjama stand. Er starrte ihn an.
    Meine Visitenkarte.
    Er ging in die Hocke. Während er die Pistole schussbereit in der Hand hielt, zog er mit der Linken das Oberteil aus dem Haufen. Er drehte es, bis er die Brusttasche fand.
    Als er hineingriff, erinnerte er sich, wie Elise das Alka-Seltzer-Päckchen hineingeschoben hatte – und wie sich die steife Folie an ihrem Nippel angefühlt hatte.
    Wo ist der Nippel jetzt?
    Hat das Schwein ihn geschluckt?
    Bei dem Gedanken hätte Neal am liebsten geschrien und seinen Kopf gegen die Wand geschlagen.
    Das kann alles nicht wahr sein!
    Was ist dann das dort in der Badewanne?
    Ich habe nur einen Albtraum …
    Doch Neal wusste, dass er wach war.
    Seine Finger wühlten in einer leeren Tasche.
    Meine Visitenkarte!
    Sein erster Gedanke war, der Mörder habe sie mitgenommen. Dann wurde ihm klar,

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