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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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tun?
    Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder ging er leibhaftig in seine eigene Wohnung oder er reiste mithilfe des Armbands dorthin.
    Wenn er tatsächlich in die Wohnung ging, würde er mit der Pistole in der Hand in der Dunkelheit sitzen, vielleicht in einer Ecke des Wohnzimmers. Irgendwann im Laufe der Nacht könnte der Mörder auftauchen.
    Er kommt auf jeden Fall, sagte sich Neal. Er muss davon ausgehen, dass ich ihn identifizieren kann. Außerdem will er mir die Schüsse heimzahlen. Er will mich töten.
    Will er mich erst foltern?
    Mich ausziehen und fesseln, mir ein Stück Seife in den Mund stecken, damit ich nicht schreien kann?
    Mit mir dasselbe tun, was er mit Elise gemacht hat?
    Er spürte eine innere Kälte und sagte sich, der Mann würde ihn vermutlich nicht so bearbeiten wie Elise. Das war eine sexuelle Sache gewesen. Elise war eine schöne Frau.
    Es geht ihm keiner dabei ab, wenn er so etwas mit mir macht.
    Verlass dich nicht darauf, dachte Neal. Vielleicht ist er da nicht so wählerisch – vielleicht steht er auch auf Männer. Oder er quält mich nur aus Spaß. Aus Rache. Ich habe ihm wehgetan, deshalb tut er mir noch mehr weh.
    Erst muss er mich kriegen.
    Ich pumpe den Dreckskerl mit Kugeln voll, dachte Neal. Es spielt keine Rolle, wie gern er mich foltern möchte, wenn er mit sechs Kugeln im Kopf tot auf dem Boden liegt.
    Doch Neal wusste, dass immer irgendwas schiefgehen konnte.
    Er könnte von ihm überrascht werden – von hinten angegriffen. Was, wenn er einschlief, während er auf den Mörder wartete? Was, wenn die Pistole aus irgendeinem Grund nicht funktionierte?
    Was, wenn ich das ganze Magazin in ihn hineinpumpe und er trotzdem weiter auf mich losgeht?
    Die Vorstellung schien lächerlich, doch sie ließ winzige kalte Finger über seinen Rücken kriechen. In seinem Nacken bildete sich eine Gänsehaut. Seine Kopfhaut kribbelte.
    Was, wenn er nicht menschlich ist? Irgendwas Unsterbliches. Ein Vampir oder so.
    Das ist verrückt, sagte sich Neal. Natürlich ist er ein Mensch. Er hat geblutet, oder? Vampire bluten nicht.
    »Scheiße«, murmelte er. »Der Mistkerl ist kein Vampir.«
    Er hat kein Blut getrunken, dachte er.
    Woher weißt du das? Er hat sie gebissen. Er hat sogar Stücke rausgebissen. Weiß Gott, was für ein Monster er ist.
    »Er ist ein Mann«, sagte Neal.
    Ein Typ wie Jeffrey Dahmer, dachte er. Total durchgeknallt, aber sterblich.
    »Alsbald sterblich«, sagte Neal. Er grinste. Der Klang der Worte gefiel ihm.
    Vielleicht verwende ich es einmal in einem Drehbuch, dachte er.
    »Alsbald sterblich«, wiederholte er. »Unempfindlich gegen Kugeln, aber alsbald sterblich.«
    Teuflisch.
    Rasputin, dachte Neal. Aber wenn man ihn rasiert, sieht er aus wie Nosferatu.
    Ich gehe nicht hinüber, beschloss er.
    Neal trug seine Tasche in Martas Schlafzimmer und stellte sie auf der Kommode ab. Er nahm nur das Armband heraus.
    Im Licht der Deckenlampe schimmerte das Gold in seiner ganzen dunklen Pracht. Die Smaragdaugen der Schlange glitzerten strahlend grün. Er drehte das Armband in den Händen und betrachtete es genau. Es war sehr fein gearbeitet.
    Ein tolles Schmuckstück, dachte er. Schade, dass es eine Schlange sein musste.
    Schlangen beißen.
    Er schüttelte den Kopf.
    Vermutlich war die Schlangenform ein Symbol für etwas.
    Vielleicht für die die Schlange aus dem Garten Eden? Die den Teufel verkörpert, oder?
    Es war schon ein paar Jahre her, dass Neal Das verlorene Paradies analysiert und wahrscheinlich noch länger, dass er die Genesis in der Bibel gelesen hatte. Aber er erinnerte sich, dass die Schlange Adam und Eva in die Irre geführt hatte, indem sie ihnen angeboten hatte, die verbotene Frucht vom Baum der Erkenntnis – der Erkenntnis des Guten und Bösen – zu essen.
    So ähnlich ist es auch mit dem Armband, dachte er.
    Wahrscheinlich hatte es nicht zufällig die Form einer Schlange.
    Eine Warnung? Das Versprechen eines verbotenen Wissens?
    Er fragte sich, ob das Armband an sich böse war.
    Nein. Das ergab keinen Sinn. Soweit er wusste, war Elise ein wundervoller Mensch gewesen – keine Spur von Gemeinheit, Unehrlichkeit oder Grausamkeit. Sie hätte das Armband nicht immer wieder benutzt, wenn es auf irgendeine Weise bösartig wäre.
    Außerdem hatte Neal es schon dreimal verwendet. Er hatte nichts Schlimmes bemerkt, weder an dem Armband selbst noch an seinen Auswirkungen.
    Er wünschte nur, es hätte eine andere Form, etwas weniger Unheilvolles als eine Schlange.
    Mach dir

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