Der Gast: Roman
deswegen keine Sorgen, sagte er sich.
Und schlüpfte mit der Hand hinein.
Er ließ die Lampe brennen und ging zu Martas Bett. Dann setzte er sich auf die Matratze und zog die Schuhe aus. Er streckte sich aus, zog die Pistole aus der Tasche und legte sie neben seine rechte Hüfte.
Während er die Hand hob, schloss er die Augen und versuchte sich vorzustellen, wie Elise das Armband küsste.
Doch er sah sie tot in der Badewanne vor sich, nackt und blutig und verstümmelt, die Arme ausgestreckt, ein Stück Seife im Mund. Er konnte die Seife beinahe schmecken.
Stöhnend küsste er den goldenen Kopf der Schlange.
Zu mir nach Hause, dachte er, als würde er einem Taxifahrer das Ziel nennen.
Er spürte, wie er aus seinem Körper aufstieg, das Gewicht und die Schmerzen hinter sich ließ. Einen Moment später war er draußen vor dem Schlafzimmerfenster. Er sah zu dem Balkon unter ihm. Dann befand er sich über dem dunklen Swimmingpool. Er glitt an der Rückseite des Gebäudes entlang, während er in die Nacht aufstieg. Der Vollmond schien hell.
Als er plötzlich zu hoch war, um sich am Boden zu orientieren, ließ er sich kraft seines Willens hinabsinken. Auf Höhe der Baumwipfel flog er über die Straßen und machte sich auf den Weg zu seiner Wohnung.
Er näherte sich dem Gebäude von vorn und schoss durch die schmiedeeisernen Stangen des geschlossenen Tors hinein. Während er eine Runde über dem Pool drehte, sah er sich um. Im Becken war niemand. Es lief auch niemand draußen herum oder hielt sich auf den Laubengängen auf. Viele Fenster waren dunkel, doch hinter einigen Vorhängen brannte Licht oder flackerte ein Fernseher.
Vielleicht ist es noch zu früh, dachte Neal. Es war noch nicht einmal halb zwölf. Der Mistkerl könnte bis zwei oder drei warten, um sicherzugehen, dass niemand mehr wach war.
Neal fragte sich, ob er es schaffen würde, so lange zu bleiben.
Er hatte keine Ahnung.
Ich muss es einfach darauf ankommen lassen, sagte er sich.
Und glitt durch das Panoramafenster und die Vorhänge seines Wohnzimmers.
Das Licht war ausgeschaltet. Er ging zu einem Schalter und streckte den Arm aus. In seinem Blickfeld tauchte keine Hand auf. Er lachte, ohne es selbst hören zu können.
Wer braucht schon Licht?, dachte er. Schließlich kann ich nicht gegen irgendwelche Möbel stoßen und mich verletzen.
Das ist so verdammt seltsam!
Ich sollte es langsam gewöhnt sein, sagte er sich.
Doch die erste Reise in der letzten Nacht vom Sofa zu Elise war sehr kurz gewesen. Während der beiden nächsten Ausflüge hatte ihn die Sorge um Elise vollkommen eingenommen, und er hatte der wilden, großartigen Magie des Flugs wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Jetzt wunderte er sich plötzlich darüber.
Er konnte kaum glauben, dass er tatsächlich eineinhalb Meter über dem Boden seiner Wohnung schwebte – tatsächlich die undeutlichen Umrisse von allem erkennen konnte, tatsächlich Geräusche wie den Kompressor des Kühlschranks hörte, obwohl er weder Augen noch Ohren hatte. Er besaß überhaupt keinen Körper. Eigentlich hätte er gar nichts wahrnehmen sollen.
Er sollte nicht einmal hier sein.
Nichts von alldem sollte passieren. Der gesunde Menschenverstand sagte ihm, dass er gerade etwas völlig Unmögliches erlebte. Man kann seinen Körper nicht verlassen und durch die Gegend fliegen wie eine seltsame Mischung aus Peter Pan, dem Unsichtbaren und Caspar, dem freundlichen Geist. Das widerspricht den Naturgesetzen.
Es gibt nur eine Möglichkeit, wie man solche Kunststücke vollbringt – im Traum.
Vielleicht schlafe ich gerade in Martas Wohnung, dachte er, und das hier ist nichts weiter als ein Traum. Dann muss ich letzte Nacht auch geträumt haben, als ich die Reisen mit dem Armband unternommen habe.
Ich habe mir nur eingebildet, in Elise zu sein? Ihre Gedanken gehört zu haben? All ihre Gefühle gefühlt zu haben?
Wir haben danach darüber gesprochen.
Hatte er sich das auch nur eingebildet? Wo führte das hin? Wo hatte der Traum begonnen? Hatte er Elise überhaupt wirklich getroffen? Vielleicht hatte er auf der Fahrt zu Video City einen Unfall gehabt und lag seitdem im Koma.
Oder war tot.
»Schwachsinn«, murmelte er.
Ich lebe, sagte er sich. Ich lebe und bin wach. Das ist kein Traum.
Was immer auch passiert, es geschieht wirklich. Wer weiß schon, warum? Finde dich einfach damit ab.
Zumindest einstweilen.
Während er über die seltsame Situation nachgrübelte, war Neal irgendwie aus seiner Wohnung getrieben.
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