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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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Einkaufswagen begegnet war, abzuschätzen.
    Die Entfernungen schienen zu passen.
    Und Karens Wohnung befand sich mit Sicherheit nicht in dem angrenzenden Haus. Denn dort waren Balkone über der Gasse. An der Wand, durch die er eingedrungen war, hatte es keine Balkone gegeben.
    Es muss hier sein, entschied er.
    Während er zu dem Tor am Hintereingang ging, verspürte er eine Mischung aus Aufregung und Furcht. Er war mit voller Absicht hergekommen, weil er Karen einen Besuch abstatten wollte. Doch trotzdem gruselte er sich davor, hier zu sein. Ein seltsames, aber irgendwie auch vertrautes Gefühl. Er kannte es von …
    Vergnügungsparks. Disneyland, Magic Mountain, Funland. Dort war es Neal gelegentlich widerfahren.
    Man stellt sich in die Schlange eines Fahrgeschäfts – eines dieser beängstigenden Geräte, die einen zu hoch in die Luft heben und zu schnell fallen lassen –, weil man eine Runde mitfahren möchte. Man will es wirklich. Aber plötzlich ist vor einem niemand mehr. Man ist an der Reihe. Und dann merkt man, dass man einen großen Fehler begangen hat.
    Es schnürt einem die Kehle zu, und man möchte schreien: »Was mache ich eigentlich hier? Lasst mich hier raus!«
    Genauso fühlte sich Neal, als er das Tor öffnete, hindurchtrat und es geräuschlos wieder hinter sich schloss.
    Warum drehe ich nicht einfach um?, fragte er sich. Das ist doch verrückt. Was, wenn sie auf mich schießt oder so?
    Doch an der Achterbahn hatte er auch nie einen Rückzieher gemacht. Und am Riesenrad auch nicht. Nicht, seit er erwachsen war. Zu der Angst hatte sich die Aufregung gesellt, und er war immer mitgefahren.
    Er sah sich um, als er auf die Treppe zuging. Es gab keinen Swimmingpool im Hof. Stattdessen eine parkähnliche Anlage: Rasen mit Büschen und Bäumen, Gehwege, malerische Laternen und sogar ein paar Picknicktische. Es wirkte ziemlich altmodisch und friedlich.
    Neal sah niemanden dort.
    Er stieg leise die Treppe hinauf.
    Seine Beine zitterten.
    Es wird nichts passieren, sagte er sich. Ich habe ja keine bösen Absichten.
    Das weiß aber die Polizei nicht. Niemand, der mich hier herumschleichen sieht, weiß das. Ich sollte verschwinden, ehe etwas geschieht.
    Versuch, unverdächtig auszusehen.
    Zu dieser Uhrzeit? Wohl kaum.
    Geh einfach zu ihrer Tür, als würdest du hier wohnen.
    Die Tür, die dem Treppenaufgang am nächsten lag, hatte die Nummer 26. Neal fiel auf, dass er Karens Wohnungsnummer nicht kannte, doch die Nummer 26 schien an der richtigen Stelle zu liegen – an der nordöstlichen Ecke des Gebäudes, mit der Rückseite zur Gasse.
    Rechts neben der Tür befand sich ein Panoramafenster. Es fiel kein Licht heraus. Neal erinnerte sich, wie Karen das Licht im Wohnzimmer ausgeschaltet hatte, ehe sie nach hinten ins Schlafzimmer gegangen war.
    Er fragte sich, ob sie immer noch dort war. Immer noch nur im Bikinihöschen auf dem Boden kniete, sich selbst wehtat und sich die Augen aus dem Kopf weinte.
    Wer weiß?
    Es war noch nicht lange her, dass Neal sie dort allein gelassen hatte. Fünf Minuten? Vielleicht ein bisschen länger. Jedenfalls weniger als zehn.
    Er blieb vor der Tür stehen und holte tief Luft.
    O Mann, dachte er. Ich muss verrückt sein.
    Er klopfte vorsichtig an. Fünfmal schnell hintereinander, hoffentlich laut genug, damit Karen ihn hörte, aber nicht so laut, dass ein Nachbar aufgeschreckt wurde.
    Zu dieser Uhrzeit erschreckt man sich bei jedem Klopfen, dachte er.
    Er wartete. Aus der Wohnung drang kein Laut.
    Hatte sie ihn gehört? Kauerte sie auf dem Schlafzimmerboden und lauschte ängstlich?
    Probier es noch einmal. Aber schön sanft und freundlich.
    Er klopfte erneut fünfmal.
    Dann wartete er wieder.
    Sie kommt nicht, dachte er. Entweder kann sie mich nicht hören, oder sie hat Angst und hofft, dass ich weggehe. Oder vielleicht ruft sie auch gerade die Polizei.
    Ich sollte schnellstens hier abhauen.
    Noch ein Versuch, dann verschwinde ich.
    »Karen?«, sagte er leise an der Tür.
    Einen Augenblick später erklang ihre Stimme. Es war kaum mehr als ein Flüstern und klang, als hielte sie ihn für einen Freund. »Wer ist da?«
    »Ich heiße Neal. Ich bin ein alter Freund von Darren. Er hat oft von dir gesprochen. Ständig. Ich wollte dich schon immer kennenlernen, Karen … Ich weiß, es ist unverschämt, einfach so hereinzuschneien. Ich meine, so spät. Aber er hat gesagt, du wärst eine Nachteule und … ich komme gerade aus San Francisco. Morgen muss ich schon in San Diego sein. Ich dachte

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