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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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offenbar hatte sie gemerkt, dass er sie eingehend betrachtete.
    »Ich habe dich bestimmt geweckt«, sagte Neal in dem Versuch, eine Rechtfertigung zu finden, warum er auf ihr T-Shirt gestarrt hatte.
    Es schien zu funktionieren. Sie lächelte und neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Nein, du bist gerade noch rechtzeitig gekommen.« Sie blieb vor ihm stehen und streckte ihm ein Glas entgegen.
    »Danke.« Neal nahm es.
    »Es kommt nicht gerade oft vor, dass ich so spät Besuch bekomme«, erklärte sie ihm.
    »Es kommt auch nicht oft vor, dass ich so spät jemanden besuche.«
    Karen stieß ein kurzes, hohes Lachen aus. »Tja.« Sie warf einen Blick zum anderen Ende des Sofas und schien zu erwägen, sich dort hinzusetzen, doch dann drehte sie sich um und ging zu einem ledernen Sitzkissen. Dort ließ sie sich nieder, lächelte nervös und klemmte das T-Shirt zwischen ihre Oberschenkel. Als sie bemerkte, dass ihre angewinkelten Knie höher waren als ihre Taille, streckte sie schnell die Beine in Neals Richtung aus.
    Er lächelte und trank einen Schluck. »Ah, das tut gut«, sagte er.
    »Gut.« Sie trank ebenfalls. »Also«, sagte sie. »Wie hast du mich gefunden?«
    Wenn sie nicht im Telefonbuch steht, bin ich erledigt.
    »Ich habe an einer Telefonzelle angehalten und die Adresse nachgeschlagen.«
    »Ach so.« Sie nickte, offenbar zufrieden mit der Antwort.
    Gott sei Dank.
    »Und du warst mit Darren befreundet?«, fragte sie.
    O Mann, o Mann, o Mann.
    »Ja«, sagte er. »Wir waren Klassenkameraden.«
    Zur Schule geht doch jeder, oder?
    Doch er sah die Verwirrung in Karens Gesicht. »Das ist seltsam«, sagte sie. »Du kommst mir irgendwie bekannt vor, aber … Ich kenne alle seine Freunde an der SC …«
    »Ah! Nicht an der SC. Du meinst die University of Southern California? Nein. Nicht da. Wir waren Schulfreunde an der Highschool.«
    Was, wenn er nicht in meinem Alter ist?
    »Ach so. Verstehe.«
    Gott sei Dank, dachte Neal.
    Aber wenn sie mir weiter Fragen stellt …
    Plötzlich hatte er eine Idee, wie er weiteren Fallstricken aus dem Weg gehen konnte.
    »Ich habe eine Weile schon nichts mehr von Darren gehört«, sagte er. »Ein paarmal habe ich versucht, ihn anzurufen, aber …« Er schüttelte den Kopf. »Ist er umgezogen oder …?« Er sah Karen an und wartete.
    Sie erwiderte seinen Blick.
    »Hast du vielleicht seine neue Adresse?«
    Ihre Augen nahmen einen schmerzlichen Ausdruck an.
    Das hätte ich nicht fragen sollen! Jetzt dreht sie wieder durch! Der Typ hat wahrscheinlich den Löffel abgegeben. Die neue Adresse lautet: Grabhügel Nummer soundso, Zur letzten Ruh oder irgend so ein Mist.
    Doch ihre Stimme klang ziemlich ruhig, als sie sagte: »Ich habe sie. Klar.« Sie trank einen Schluck Cola und stellte das Glas auf das Tischchen neben ihr. »Ich hole sie.« Sie zog die Knie an.
    »Schon gut. Bleib ruhig sitzen. Es sei denn … Es sei denn, du möchtest, dass ich gehe.«
    »Nein, ich dachte nur, du wolltest die Adresse haben.«
    »Ich bin eigentlich nicht wegen der Adresse gekommen. Ich wollte dich einfach nur kennenlernen. Er hat immer … so nette Dinge über dich gesagt.«
    »Wirklich?« Sie ließ die Knie wieder sinken und streckte die Beine aus.
    »Ja. Wie schön du wärst. Und damit hatte er recht.«
    Sie errötete und schüttelte lächelnd den Kopf. »Nett von dir, aber …«
    »Er hat mir erzählt, dass er dich nicht mehr sieht.« Vorsicht. Du legst es darauf an. »Ich habe das nicht verstanden.« Pass auf. »Ihr schient ein so tolles Paar zu sein.« Sie sieht mich so seltsam an. »Es hat mir schrecklich leidgetan, als ich hörte, dass es nicht mehr funktioniert.«
    Sie sah ihn an, als hätte er sich vor ihren Augen in einen merkwürdigen, aber nicht unattraktiven Schimpansen verwandelt. »Wovon redest du?«
    »Von dir und Darren.«
    »Was ist mit uns?«
    »Also, du weißt schon. Er hat mir gesagt, ihr hättet euch getrennt.«
    »Wie getrennt?«
    »Eure … Beziehung beendet.«
    Ihr Lächeln bekam etwas Krampfhaftes, und ihre Gesichtsfarbe war nicht mehr nur rot, sondern dunkelrot. »Wir haben nie …« Sie schüttelte den Kopf. »Es hat sich zwischen uns nichts geändert. Nur weil er geheiratet hat … ich meine, er wird immer mein Bruder bleiben.«
    Neal fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Knüppel auf den Kopf geschlagen.
    Er hob sein Glas und trank und versuchte, dabei nicht zu ersticken.
    Das muss eine Verwechslung sein!
    Er setzte das Glas ab und sagte: »Der andere Darren. Nicht dein Bruder.

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