Der Gast: Roman
Armband benutzt hatte, zuerst in dem vergeblichen Versuch, Rasputins Leiche zu finden, und dann, um zu Elise zurückzukehren, weil er Angst um sie hatte.
Wie er in ihr gewesen war.
Unfähig, sie zu warnen.
Machtlos, als sie angegriffen wurde.
Wie er aus ihrem Körper geflohen und zu seinem eigenen zurückgekehrt und dann panisch zu ihrem Haus gerast war, nur um sie tot in der Badewanne zu finden.
Sue hörte zu, beobachtete ihn, verzog oft das Gesicht und gab manchmal einen Kommentar ab oder stellte eine Frage. Sie schien sich sehr für alles zu interessieren, was er erzählte. Fast, als durchlebte sie die Geschichte selbst.
Neal hatte das Gefühl, eine echte Gefährtin gefunden zu haben.
Jemanden, dem er wirklich vertrauen konnte.
Während er Sue alles erzählte, fragte er sich, warum er Marta nicht so hatte vertrauen können.
Wahrscheinlich war es einfacher, seine Geheimnisse einem Fremden anzuvertrauen. Das hatte er jedenfalls schon öfter gehört.
Es blieb ohne Folgen, einem Fremden Geheimnisse zu erzählen – jemandem, den man vermutlich nicht in einer Stunde oder am nächsten Tag oder in den kommenden Jahren wiedersehen würde.
Es war, als schriebe man seine Geschichte in den Sand.
Egal, was man sagte, es würde bald spurlos verschwunden sein.
Doch er hatte das Gefühl, Sue würde möglicherweise nicht so schnell verschwinden.
Die nächsten paar Stunden würde er gewiss mit ihr verbringen. Zumindest, bis sie in The Fort ankamen. Und er bezweifelte, dass er sie dort so einfach loswerden würde.
Vielleicht will ich sie auch gar nicht loswerden.
Was soll das? Du verknallst dich in jede Frau, die du triffst? Reiß dich zusammen. Sie ist auf eine Art hübsch, aber niemand, auf den du dich einlassen willst. Zu jung. Zu naiv. Du erzählst ihr nur deine Lebensgeschichte, weil sie zufällig die Wahrheit über das Armband erfahren hat.
Folglich sollte er nicht so viel darum geben, dass er sich ihr anvertraute; er hätte auch Marta die ganze Geschichte erzählt, wenn sie hinter das Geheimnis des Armbands gekommen wäre.
Nun wünschte er sich, er hätte Marta vertraut.
Aber wie sollte man jemandem sagen, man habe ein magisches Armband, mit dessen Hilfe man in andere Köpfe eindringen kann, als wäre der Tag der offenen Tür?
Er hätte es Sue nie erzählt. Sie hatte es allein herausgefunden.
Er hätte es nie irgendjemandem erzählt.
Doch er war froh, dass Sue jetzt Bescheid wusste. Froh, dass es jemanden gab, dem er die Wahrheit sagen konnte.
Deshalb redete er weiter, endete nicht bei dem Mord, sondern fuhr mit dem fort, was danach geschehen war.
Wie er die Visitenkarte, die er Elise gegeben hatte, nicht hatte finden können und vermutete, dass der Mörder sie hatte.
Wie er in seine Wohnung zurückgekehrt war in der Annahme, er wäre das nächste Opfer. Wie er seine Pistole ständig schussbereit bei sich gehabt hatte, weil er fürchtete und zugleich hoffte, Rasputin würde auftauchen – sodass er die Gelegenheit hätte, den Dreckskerl zu töten.
Als er von Martas Besuch am nächsten Tag erzählte, war er erleichtert, dass Sue nicht mehr in ihm war; sie hätte mitbekommen, wie Marta ihm einen geblasen hatte, und gespürt, wie sehr ihn die Erinnerung erregte.
Diese Episode ließ er aus. Doch er berichtete ihr den Rest: wie er Marta die Situation erklärt hatte – die Gefahr, in der er schwebte, weil Rasputin und vielleicht auch die Polizei hinter ihm her waren – und wie sie darauf bestanden hatte, dass er in ihrer Wohnung übernachtete, wo ihn niemand finden würde.
Er erzählte ihr von dem Video, das sie aufgenommen hatten.
Eine Geschichte voller Lügen, weil er nicht über das Armband hatte reden wollen.
Schließlich berichtete er Sue von seinem Brief an die Polizei. »Marta hat ihn mitgenommen, als sie zur Arbeit fuhr. Sie wollte ihn unterwegs abschicken. Ich schätze, er kommt morgen bei der Polizei an. Vielleicht auch schon heute.«
»Hast du dich deshalb aus dem Staub gemacht? Weil du Angst hattest, dass sie hinter dir her sind?«
Er schüttelte den Kopf. »Der Brief war anonym. Wir haben auch darauf geachtet, ihn nicht anzufassen. Ich glaube nicht, dass sie herausfinden können, von wem er kommt.«
»Warum bist du dann abgehauen?«
»Wegen der Kratzer.« Er nickte in Richtung seines rechten Arms.
Sue sah seinen Unterarm an. »Sind das die, wo du nicht abbekommen hast, als deine Freundin vom Boot gefallen ist?«
»Genau die.«
»Wer hat dich dann gekratzt?«
»Eine Frau namens
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