Der Gast: Roman
Mitfahrgelegenheit gefunden hätte. Aber er konnte es einfach nicht.
Er sah nach, ob an den Zapfsäulen ein Hinweis stand, dass man erst zahlen und dann tanken sollte, konnte jedoch nichts entdecken. In Los Angeles musste man immer zuerst zahlen. Hier in der Provinz waren sie nicht so misstrauisch. Sie hatten noch nicht so viel Erfahrung mit Gangstern.
Erfreut nahm Neal einen Zapfhahn und begann zu tanken.
Vielleicht sollte ich Sue das Armband einfach so oft benutzen lassen, wie sie möchte, während sie bei mir ist. Nach ein paar Tagen fahre ich dann zurück nach Mojave und setze sie bei Sunny’s ab. Danach habe ich das Armband wieder ganz für mich allein.
Es sei denn, sie stiehlt es.
Vielleicht würde sie mich dafür sogar umbringen.
Nein, sagte er sich. Nicht Sue.
Obwohl sie das Armband offensichtlich interessant fand – und als ein nützliches Werkzeug betrachtete, um die Wahrheit herauszufinden –, zeigte sie keine übermäßige Begeisterung. Angesichts dessen, dass sie zweimal seine Magie erleben konnte, wirkte sie ziemlich unbeeindruckt.
Vielleicht verstellt sie sich, dachte Neal.
Ich muss mit dem Armband in ihren Kopf.
Sue war noch nicht zurückgekehrt, als der Tank voll war. Neal hängte den Zapfhahn ein, schraubte den Deckel auf den Tank, merkte sich die Nummer der Zapfsäule und den Preis und trat in den Minimarkt.
Nachdem er bezahlt hatte, ging er zur Toilette. Er schloss die Tür und stellte fest, dass er allein war.
Er könnte Sue mit dem Armband einen Besuch abstatten.
»Klar«, murmelte er. »Hat ja letztes Mal auch super geklappt.«
Wenn er das Armband bei Sunny’s in der Toilette nicht benutzt hätte, wäre es in seiner Tasche gewesen, als er zu seinem Auto ging, und Sue hätte es nicht gesehen.
Neal ließ das Armband in der Hosentasche.
Er pinkelte, wusch sich die Hände und betrachtete sich im Spiegel. Bis auf sein wirres Haar sah er normal aus. Er kämmte sich und ging hinaus.
Als er aus dem Minimarkt kam, sah er Sue in seinem Auto. Doch sie saß nicht auf dem Beifahrersitz, sondern hinter dem Steuer.
Er öffnete die Beifahrertür und sah hinein.
Statt der weißen kurzärmligen Bluse ihrer Kellneruniform trug sie nun ein blaues ausgeblichenes Arbeitshemd. Die Ärmel waren an den Schultern abgeschnitten. Es hing über den Saum des Rocks, der aus schwarzem Leder zu sein schien. Er war eng und sehr kurz. Nur die weißen Socken und Turnschuhe waren noch von ihrer Kellnerkleidung übrig geblieben.
Sie beobachtete, wie Neal sie anstarrte. »Soll ich mal ein Stück fahren?«, fragte sie nach einem Moment. »Du hast schon so lange am Steuer gesessen.«
»Klar. Danke.« Beim Einsteigen achtete er darauf, nicht auf die Papiertüte zu treten, in der er ihre Kellneruniform vermutete. »Du hast dich umgezogen.«
»Ja.«
Er schloss die Tür und schnallte sich an. »Du hast doch einen Führerschein und so, oder?«
»Ich weiß nicht, was du mit ›und so‹ meinst, aber einen Führerschein hab ich. Wenn du ihn sehen willst, brauchst du bloß in meine Handtasche gucken. Sie ist in der Tüte.«
Er sah auf die Papiertüte.
Vielleicht sollte ich das wirklich tun, dachte er.
»Macht es dir etwas aus?«, fragte er.
»Nur zu. Ich hab nix zu verbergen.«
Während Sue von der Tankstelle fuhr, hob Neal die Tüte auf. Er öffnete sie auf seinem Schoß und blickte hinein. Die Handtasche lag unter ihren Kleidern, nur der Riemen aus Jeansstoff ragte heraus. Er griff hinein und schob Sues Rock und Bluse zur Seite. Und ihren BH.
Denk nicht darüber nach, sagte er sich.
O Mann, sie hat ihren BH ausgezogen, als sie sich umgezogen hat.
Wenn kümmert’s, sagte er sich. Spielt doch keine Rolle. Ich bin nicht interessiert.
Gut, dass sie jetzt nicht in mir ist.
Er atmete tief durch, zog ihre Handtasche heraus und stellte die Tüte auf den Boden. Der Reißverschluss der Tasche war verschlossen. »Bist du sicher, dass du nichts dagegen hast?«
»Schnüffel rum, wo du willst.«
Er sah sie an. Sie grinste.
Er öffnete die Handtasche und sah eine Brieftasche, eine Bürste, ein paar Tampons, eine Nagelfeile, ein Päckchen Kaugummis, Pfefferminzbonbons, einen Lippenstift …
Schnell nahm er die Brieftasche heraus und schloss den Reißverschluss.
Wer weiß, was noch alles da drin ist.
Neal wollte es nicht sehen. Er hatte das Gefühl, ihre Intimsphäre verletzt zu haben – wie bei Martas Medizinschränkchen –, und errötete.
Er überlegte, die Brieftasche zurückzulegen.
»Na, los«, forderte
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