Der Gast: Roman
Telefon klingelte zweimal, dreimal.
Wahrscheinlich wecke ich sie.
Doch es schien ihm der günstigste Zeitpunkt für den Anruf zu sein – während Sue dachte, er wäre noch damit beschäftigt, im Hotel einzuchecken.
Außer …
»Hallo?«, sagte Marta. Ihre Stimme klang rauer als gewöhnlich.
»Hi«, sagte Neal. »Ich bin’s. Hab ich dich geweckt?«
»Macht nichts.« Pause. Neal meinte, ein leises Gähnen zu hören. »Ich hätte nicht gedacht, dass du dich melden würdest«, sagte sie.
»Ich habe dich vermisst.«
»Du bist mir ein schöner Flüchtling. Hältst es nicht mal einen Tag aus, ohne anzurufen.«
»Ja.«
»Ich wünschte, du wärst hier.«
»Ich auch«, sagte Neal.
»Vermutlich möchtest du mir nicht sagen, wo du bist.«
»Besser nicht.«
»Ich habe übrigens den Brief abgeschickt. Wahrscheinlich kommt er morgen bei der Polizei an.«
»Gibt’s was Neues?«, fragte Neal.
»Hast du Radio gehört?«
»Nicht viel.«
»Elises Mann hat eine große Belohnung ausgesetzt.«
»Das habe ich gehört.«
»Fünfzigtausend Dollar.«
»Ja.«
»Das ist viel Geld.«
»Willst du mich ausliefern?«
Marta lachte leise. »Könnte sein, Süßer.«
»Dafür musst du mich erst mal finden.«
»Wahrscheinlich hast du die besten Chancen, die Belohnung zu kassieren. Ich meine, du warst dort. Du hast den Mörder gesehen. Verdammt, du hast ihn sogar angeschossen. Vielleicht solltest du dich nicht weiter wie Dr. Kimble in Auf der Flucht benehmen, sondern zurückkommen und nach dem Mörder suchen.«
Habe ich das nicht schon mal gehört?
»Vielleicht«, gab er zu. »Ich weiß es nicht. Jedenfalls habe ich schon ein Zimmer für heute Nacht, deshalb …«
»In einem Kasino in Nevada.«
»Wie kommst du darauf?«
»Du darfst mich Sherlock nennen.«
»Das Geräusch der Spielautomaten?«
»Ich werde es niemandem verraten.«
»So viel zum Thema Untertauchen.«
»Ich weiß immer noch nicht, in welcher Stadt du bist.«
»Ich könnte auch in Atlantic City sein.«
»Unwahrscheinlich. Dann hättest du fliegen müssen, und ich glaube nicht, dass du riskieren wolltest, mir oder einem meiner Bekannten am Flughafen zu begegnen.«
»Ich könnte von Burbank oder Orange County aus geflogen sein.«
»Nein. Jedes Mal, wenn du da hinfährst, verirrst du dich.«
»Du weißt wirklich eine ganze Menge über mich.«
»Mehr als du ahnst«, sagte sie in scherzhaftem Ton.
»Das klingt beunruhigend.«
»Warum?«, fragte sie. Neal konnte sich gut vorstellen, wie sie dabei lächelte. »Hast du wegen irgendwas ein schlechtes Gewissen?«
»Nein.« Als er seine eigene Stimme hörte, wünschte er, er könnte es zurücknehmen. Es hatte völlig falsch geklungen.
»Was ist los?«, fragte Marta. Nun lächelte sie vermutlich nicht mehr. Neal sah ihre großen blauen Augen vor sich, die ihn aufmerksam anblickten.
Er wollte sie nicht anlügen. Nicht schon wieder. Er hatte ihr schon viel zu viele Lügen aufgetischt.
Ich kann ihr nicht von Sue erzählen. Auf keinen Fall.
Aber wenn ich es nicht tue und sie es später herausfindet …
Neal war sich ziemlich sicher, dass sie von Sue erfahren würde. Das Mädchen schien entschlossen, bei ihm zu bleiben, ihn nach Los Angeles zu begleiten und mit ihm gemeinsam Rasputin zu jagen.
Marta hatte offenbar ebenfalls vor, sich an der Suche zu beteiligen.
Das könnte heikel werden.
Es sei denn, er fand eine Möglichkeit, Sue loszuwerden …
Doch er wollte sie gar nicht loswerden. Er mochte sie. Er wollte ihr helfen.
Ich sollte lieber jetzt den Schaden begrenzen. Ihr zeigen, dass ich nichts zu verbergen habe.
»Ich möchte nicht, dass du das in den falschen Hals bekommst …«, begann er und bemerkte im selben Augenblick, dass das ein schlechter Anfang war.
»O Mann«, sagte Marta.
»Ich habe ein Mädchen bei mir. Sie brauchte eine Mitfahrgelegenheit.«
»Und du hast ihr natürlich den Gefallen getan.«
»Ja. Also, sie ist ein nettes Mädchen. Jedenfalls hat eines zum anderen geführt und …«
Egal, wie ich es ausdrücke, ich erscheine immer in schlechtem Licht.
»Hör jetzt nicht auf«, sagte Marta. Sie klang, als versuchte sie noch, es leicht zu nehmen, auch wenn es ihr schwerfiel.
»Es ist nur so, dass sie alles über Sonntagnacht weiß. Über Elise und mich und den Mord. Und über dich. Wir haben von der Belohnung gehört, deshalb hat sie jetzt die Idee, dass wir versuchen sollten, sie einzustreichen.«
»Wir?«
»Sie will sie mit mir teilen, halbe-halbe.«
»Du hast diese völlig
Weitere Kostenlose Bücher