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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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feucht und rot und auf beiden Wangen sah man Spuren von Tränen.
    »Also«, sagte sie, »alles klar?« Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Hast du uns ein Zimmer besorgt?«
    Neal blicke sie an.
    Er wusste, warum sie geweint hatte.
    Kopfschüttelnd sagte er: »Toll. Großartig.«
    »Was?«
    »Du warst in mir, oder?«, fragte er. »Die ganze Zeit.«

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    Unaufgefordert streifte Sue das Armband ab und gab es Neal zurück. »Es tut mir schrecklich leid«, sagte sie.
    »Wie konntest du mir das antun?«
    Sie senkte den Kopf. »Ich bin ein Arschloch.«
    »Da hast du verdammt recht!«
    »Ich weiß.«
    »Verflucht!«
    »Eigentlich wollte ich lügen und behaupten, ich wär in jemand anders gewesen, aber dann … ich hab dich noch nie belogen, Neal. Es schien kein guter Zeitpunkt zu sein, damit anzufangen, wo du doch so in der Patsche steckst, weil du Marta die Wahrheit gesagt hast.«
    Neal erinnerte sich daran, was er über Sue gesagt hatte, und spürte Scham in sich aufwallen. »Es entsprach nicht alles der Wahrheit«, sagte er.
    »Meinst du die Sache mit der jugendlichen hohlköpfigen Kaugummi kauenden Hinterwäldlerin?«
    Er verzog das Gesicht. »Das war … übertrieben.«
    Sue hob den Kopf und lächelte ihn schief an. »Das weiß ich doch, Alter. Ich war in deinem Kopf, schon vergessen? Und auch in allen anderen Teilen von dir. Ich hab eine ziemlich gute Vorstellung davon, was du über mich denkst. Und auch von deinen Gefühlen.«
    »Glaubst du?«
    »Ich weiß es.« Sie gab ihm einen Klaps auf den Oberschenkel. »Komm, gehen wir ins Zimmer.«
    Sue hatte nur ihre Papiertüte, deshalb trug sie Neals Reisetasche, während er mit seinem Koffer vorauseilte.
    Er hätte eigentlich wütend auf sie sein sollen. Nicht nur hatte sie sich mit dem Armband in ihn hineingeschlichen, sie war auch nicht hinausgegangen, als er sie dazu aufgefordert hatte.
    Sie wusste alles …
    Doch es war schwierig, wütend auf sie sein, weil er wusste, dass sie all die schrecklichen Dinge mitbekommen hatte, die er über sie gesagt hatte.
    Besonders, weil sie die Wahrheit hinter den Worten erkannt hatte, nämlich dass er es gar nicht so gemeint hatte, sondern Marta nur über seine wahren Gefühle für Sue hatte täuschen wollen.
    Es musste trotzdem wehgetan haben.
    Sie hatte geweint.
    Während seiner eigenen begrenzten Erfahrungen mit dem Armband hatte Neal entdeckt, dass sein Körper, obwohl er verlassen war, auf gewisse Weise reagiert hatte – offensichtlich auf die Dinge, die bei dem Ausflug passierten. Bei der Rückkehr hatte er seinen Körper verschwitzt, atemlos, unruhig … und sogar erregt vorgefunden.
    Welche seiner Gedanken oder Worte hatten Sue zum Weinen gebracht?
    Die Beleidigungen? Etwas anderes?
    Frag sie.
    Vielleicht ein anderes Mal.
    Während sie ihm durch das halbdunkle verrauchte Kasino folgte, sagte Sue: »Da ist das nackte Mädchen.«
    Er warf einen Blick auf das Bild auf der Holzvertäfelung der Theke und errötete.
    »Ich finde, sie ist ziemlich pummelig.«
    »Ja.« Er wünschte, sie würde das Thema nicht vertiefen.
    »Und sie hat nix an.« Sue warf ihm ein Grinsen zu. »Aber ich glaub, das hast du schon gesehen.«
    »Sehr witzig.«
    Der Aufzug befand sich gleich hinter den Telefonen. Sue drückte den Knopf. Während sie auf den Fahrstuhl warteten, sagte sie: »Nichts.«
    »Was meinst du?«
    »Sie hat nichts an.«
    Die Türen öffneten sich. Sie gingen hinein. »Nummer vierhundertzwanzig, oder?«, sagte Sue, obwohl sie die Schlüssel noch nicht gesehen hatte. Sie wusste die Zimmernummer offensichtlich, weil sie am Empfang schon in Neal gewesen war.
    »Ja«, sagte er.
    Sie stellte ihre Tüte und die Reisetasche ab und drückte auf den Knopf für den vierten Stock. Der Aufzug fuhr los.
    »Hey, guck dir das an!«, stieß sie aus.
    Neal blickte sich um und bemerkte, dass sich an drei Seiten und der Decke des Aufzugs Spiegel befanden. Das Glas war mit goldenen Punkten gesprenkelt. »Schick«, sagte er.
    In dem Spiegel zu seiner Linken sah er Sue neben sich stehen. Sie hatte sich ein wenig vorgebeugt und betrachtete mit amüsierter Neugier dasselbe Bild.
    Sie konnten nicht nur sich selbst im Spiegel sehen, sondern auch den Spiegel auf der rechten Seite, in dem wiederum der Spiegel auf der linken Seite zu sehen war, und so setzte es sich fort.
    »Es geht immer so weiter«, flüsterte Sue.
    Neal sah, wie sie die Stirn runzelte, sah ihren Hinterkopf mit dem dicken blonden Pferdeschwanz, dann ihr Gesicht tiefer im

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