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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Gesetzmäßigkeit, die der Polizei bloß noch nicht aufgefallen ist.«
    »Es gibt eine Gesetzmäßigkeit.« – »Es gibt eine Gesetzmäßigkeit, die darauf wartet, entdeckt zu werden. Zufälligkeit in reiner Form gibt es leider nicht. Zumindest hat noch nie jemand ein Beispiel vorweisen können. Ich muß es wissen. Ich habe überall danach gesucht.«
    »Tja, tut mir leid, aber ich muß immer passen, wenn es um irgendwas Reines geht. Ha ha ha ha. Aber verlaß dich drauf, wir leiten deinen Tip an Chester Combes weiter, den Kreissheriff. Und du, Lemuel, tust uns den Gefallen und hältst weiter die Augen offen nach der reinen Zufälligkeit – bestimmt ist sie irgendwo da draußen, lauert im Gebüsch, versteckt sich in dunklen Gassen. War nett, mit dir zu plaudern, Lemuel. Und alles Gute für deinen, äh, Aufenthalt in Amerika. Der nächste Anrufer.«
    Ich merkte, daß er drauf und dran war aufzulegen. »Ich brauche Antworten auf Fragen«, rief ich ins Telefon. »Das mit dem highfive hab ich schon begriffen. Sie haben mir ›Henkel‹ erklärt und ›loswerden‹. Aber wie kann jemand sein Herz auf dem Ärmel tragen? Und was bedeutet eigentlich ›Nonstops to the most Florida cities‹? Wie kann eine Stadt mehr Florida sein als eine andere? In meiner Ausbildungsvorschrift der Royal Canadian Air Force, in der King James Bible, bei Raymond Chandler und im Playboy habe ich nie solche Ausdrücke gelesen. Und welche Seite oben ist, wer bestimmt darüber in Amerika? Außerdem, last but not least: Wer oder was ist ein Tender?«
    Mir dämmerte, daß meine Stimme nicht mehr aus den Boxen widerhallte. Dann merkte ich, daß das Telefon an meinem Ohr stumm war. Im Radio sagte der Moderator: »Für alle, die eben erst eingeschaltet haben: Ihr hört WHIM Elmira, den Sender, bei dem Reden billig und Sex das Thema Nummer eins ist. Hallo.« Er fing an, mit einer Friseuse zu plaudern, die etwas über einen sogenannten G-Punkt sagte.
    Frustriert, mit dem Gefühl, daß ich Amerika nie in den Griff bekommen würde, legte ich das Telefon zurück, schaltete das Radio ab, knipste die Deckenbeleuchtung und die Schreibtischlampe aus und ging durchs Zimmer, um durch zwei Glastüren auf das Garagendach zu schauen, das anscheinend im Sommer als Sonnenterrasse diente. Draußen hatte sich eine spröde Stille über das Stück von Amerika der Schönen gelegt, das ich sehen konnte. Über der Garage knarrten die Äste einer alten Eiche unter der Eislast wie die Takelage eines Schiffs. Beim Betrachten des Winterwunderlands begann der Teil von mir, der Chaostheoretiker ist, sich Fragen auszudenken. Sollte man die Ansammlung von Eis auf Ästen wie die Mordserie als einen weiteren Fußabdruck des Chaos sehen? Wenn ein Ast unter dem Gewicht des Eises abbrach, sollte man dann dieses Entfernen von abgestorbenem Holz als ein zufallsabhängiges Ereignis oder einen Akt Gottes interpretieren? Gibt es überhaupt so etwas wie Gott? War Eden wirklich, wie der Rebbe behauptete, ein Sumpf von Zufälligkeiten? Wenn ja, war diese Zufälligkeit rein und unverfälscht? Oder war es die zahme Variante, die Pseudo-Zufälligkeit, und damit nichts weiter als ein Fußabdruck der Ordnung, die wir Chaos nennen?
    Angenommen, es gibt sowohl Gott als auch reine Zufälligkeit, welche Beziehung besteht dann zwischen ihnen?
    Wenn Gott den Menschen erschaffen hat, sollte man das dann wirklich als Beweis dafür sehen, daß Er den Menschen verabscheute? Oder war die Schöpfung einfach bloß ein zufälliges Ereignis, von dem außer dem Menschen niemand etwas bemerkte?
    Erneut hörte ich in meinem Kopf die Stimme des Rebbes. » Ta’amu ure’u« , sagte er. »Schmeckt und seht.«

2. KAPITEL
    Frisch rasiert (wenn auch nicht gut rasiert), ein Stückchen Toilettenpapier auf einem eingetrockneten Schnitt am Kinn, umgeben von den Duftschwaden eines zollfreien Aftershaves, schlendert Lemuel am Vormittag die South Main Street entlang, vorbei an Teenagern, die das Eis vom Gehsteig hacken, hinein in das Dorf Backwater, Einwohnerzahl 1290, Studenten nicht mitgezählt. Bei jedem Atemzug brennt die kalte, trockene Luft ihm in der Nase, treibt ihm die Tränen in die Augen. Er blickt verstohlen auf einen seiner Ärmel, dann auf den anderen, sucht nach Spuren eines russischen Herzens; ist ein bißchen enttäuscht, als er nur ausgefranste Ärmel sieht.
    Dutzende junger Leute, die Lemuel für Studenten hält, kraxeln die schmalen Pfade zum Campus hinauf, am Abhang des langgestreckten Hügels, der den Ort

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