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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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ein paar Minuten, bis er erleichtert feststellt, daß sie von dem stählernen Glockenspielturm oben am Waldrand kommt. Weiter vorn auf der Main Street geht er rasch entschlossen in den Studenten-Schnellimbiß »Kampus Kave«, der im Fenster seine »Geld kein Thema Pizza« anpreist, klettert auf einen Barhocker und bestellt Kaffee bei der Frau, die hinter der Theke ein Comicheft liest.
    Sie blickt auf. »Mit oder ohne?«
    Lemuel, der sich keine Blöße geben will, sagt: »Von jedem eins, wenn Sie so freundlich wären.«
    Die Frau kichert. »Also den kenn ich noch nicht.«
    Aufgewärmt von den zwei Tassen Kaffee, eine mit, eine ohne, erkundigt sich Lemuel nach dem Weg zum Kramladen. Er schlingt sich sein Khakituch um den Hals und macht sich auf den Weg. Wie er an einem modernen, ebenerdigen Gebäude aus Glas und Ziegeln vorbeikommt, sieht er eine Tafel, auf der in Leuchtschrift Tageszeit und Temperatur sowie die GELDMARKTSÄTZE VOM TAGE angezeigt werden. Eine Menschenschlange reicht aus dem Vorraum des Gebäudes bis auf die Straße hinaus. Ohne auch nur einen Moment zu überlegen, stellt er sich hinten an.
    »Ach, bitte, was gibt es denn hier zu kaufen?« fragt er das Mädchen vor ihm.
    Sie hört auf, ihren Kaugummi zu kauen, und nimmt den Kopfhörer aus einem Ohr. »Hm? Wie bitte?«
    »Könnten Sie mir mitteilen, was hier verkauft wird?« Lemuel zeigt mit dem Kinn auf den Vorraum. »Bei so einer Schlange muß es was Wichtiges sein.« Er kramt in seinen Taschen nach dem kleinen Notizbuch, das er in Rußland immer dabei hatte, und blättert die Seite mit den Maßen seiner Geliebten auf – Büstenhaltergröße, Handschuhgröße, Schuhgröße, Strumpfhosengröße, Hutnummer, Hemdengröße, Schrittlänge, Körpergröße, Gewicht, Lieblingsfarbe (durchgestrichen, mit einer handschriftlichen Anmerkung von Axinja daneben: »Farbe egal«).
    Die Liste löst in Lemuel heftige Sehnsucht nach dem vertrauten Chaos von Petersburg aus.
    »Wir stehen am AM an«, erklärt das Mädchen mit weinerlicher Stimme. Sie stöpselt den Ohrhörer wieder ein und macht ein paar Tanzschritte, offenbar zu der Musik, die sie hört.
    Lemuel wendet sich an einen jungen Mann, der sich hinter ihm angestellt hat. »Bitte entschuldigen Sie, was ist ein AM?«
    »Automonetor.« Er bemerkt den fragenden Ausdruck in Lemuels Augen. »Hier kann man sich Kohle holen, also. Geld.«
    Lemuel setzt die Teile des Puzzles zusammen. Das Wort »Geldmarktsätze« auf der Anzeigetafel, ein AM, der »Kohle« verteilt – offenbar ein Ausdruck für Geld – die rund zwanzig Personen, die trotz der minus zehn Grad Celsius geduldig Schlange stehen. Was könnte logischer sein: In Rußland steht man nach Kohle an, in Amerika der Schönen nach einer anderen Art Kohle. Die Straßen mögen nicht mit Sony-Walkmans gepflastert sein in diesem Gelobten Land, aber es ist trotzdem ein Land voller Wunder.
    Lemuel spricht noch einmal den jungen Mann an, um sich seinen Verdacht bestätigen zu lassen. »Wenn ich an der Reihe bin, wird also« – er zwinkert, zum Zeichen, daß er den Code verstanden hat – »Kohle an mich ausgegeben?«
    »Ja, aber nur, wenn Sie Plastik haben.« Der junge Mann hält Lemuel seine Kreditkarte hin.
    »Man braucht Plastik, um Kohle zu bekommen?«
    »Ja. Das ist die Spielregel.«
    »Und wo bekomme ich Plastik?«
    »Da drin. Aber die Bank gibt Plastik nur an Leute aus, die ein Bankkonto haben.«
    Lemuel mustert das Gebäude. »Das sieht nicht wie eine Bank aus.«
    »Sondern wie was?«
    »Es erinnert mich an eine Datscha, die ich einmal auf der Krim gesehen habe.«
    »Was ist eine Datscha?«
    »Eine Datscha ist, wo die Angehörigen der Nomenklatura ihre Wochenenden verbringen.«
    »Was ist eine Nomenwiewardasnoch?«
    »In Rußland sind das diejenigen, die entscheiden, welche Seite oben ist. Wenn ich Ihnen einen Ratschlag erteilen darf, junger Mann: In jedem beliebigen Land muß man vor allem eins wissen, nämlich wer bestimmt, welche Seite oben ist.«
    Lemuel erschreckt den jungen Mann mit einem verunglückten highfive und schert aus der Schlange aus, um seine Erkundung des Gelobten Landes fortzusetzen.
     
    Lemuels Wortschatz aus der Ausbildungsvorschrift der Royal Canadian Air Force wächst in schwindelerregendem Tempo; er kennt schon Ausdrücke, die sogar Raymond Chandler, er ruhe in Frieden, nachschlagen müßte, wenn er noch am Leben wäre.
    Highfive. Henkel. Geldmarkt. Kohle. Plastik. Und loswerden nicht zu vergessen. Ganz zu schweigen von Stockfisch,

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