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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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die einen Monat oder ein Jahr dauert? Wie wär’s mit einer Ehe?«
    »Mit der Ehe hab ich’s schon probiert«, klärt Rain ihn auf. »Hat mir nicht gefallen. Dann hab ich’s mit Scheidung probiert.«
    »Wie lange waren Sie verheiratet?«
    »Mir kam’s vor wie eine ganze Eiszeit, aber es waren nur zwei Monate.«
    »Was hat Ihnen an der Ehe nicht gefallen?«
    »Mein Verflossener war gut im Bett, aber nicht bei mir.«
    »Er hat Sie betrogen.«
    »Er hat seine Freundinnen gebumst, falls Sie das meinen. Genau wie ich. Ich hab auch meine Freunde gebumst. Aber deswegen hab ich ihm nicht den Laufpaß gegeben.« Rain erzählt Lemuel, daß ihr Verflossener bei der Hochzeit Reis statt Vogelfutter ausgestreut hat. »Ich hätte eigentlich das Menetekel gleich sehen müssen«, ergänzt sie, »ich hätte ihn auf der Stelle verlassen sollen.«
    Lemuel läßt nicht locker: »Aber Sie haben sich doch nicht wegen der Reiskörner scheiden lassen.«
    Rain beugt sich zurück und sieht ihn forschend an. »Sie denken, die Story mit den Vögeln ist aus der Luft gegriffen?« Statt die Achseln zu zucken, zieht er die Augenbrauen hoch. Sie lächelt lieb, während sie in seine Arme zurückkehrt. Als sie wieder etwas sagt, ist ihre Stimme belegt. »Ich hab die ganze Zeit versucht rauszukriegen, wie Vernon mich haben wollte, und dann hab ich versucht, so zu sein. Nach ein paar Wochen auf diesem Karussell wußte ich nicht mehr, wer ich war. Hab mich aus den Augen verloren.« Ein schrilles Lachen bleibt ihr im Hals stecken. »Jetzt programmier ich mich nicht mehr. Ich versuch nicht mehr, so zu sein, wie irgendein Kerl mich haben will.« Sie holt tief Luft. »Ich bin verdammt noch mal, was ich bin.«
    Ganz leise sagt Lemuel: »Sie werden sein, die Sie sein werden.«
    Rain ist verblüfft. »Ja, genau das ist es. Was man sieht, ist, was man kriegt.«
    Lemuel denkt an Nachmans Schilderung von Eva im Garten Jahwes. »Was ich sehe«, murmelt er verlegen, »ist eine versöhnende. Originalität.«
    Rain bleibt wie angewurzelt stehen und sieht ihm tief in die Augen. Die Sommersprossen in ihrem Gesicht leuchten. »Yo«, sagt sie leise.
    Ein barfüßiger junger Mann in einer Dschellaba kommt hereingestürmt und sagt etwas zu den Musikern. Die Musik bricht jäh ab. Die Musiker verstauen ihre Instrumente und gehen hinter dem jungen Mann her aus dem Raum. Dwayne versucht Shirley zu überreden, mit den Musikern nach unten zu gehen. Sie streiten sich im Flüsterton. Shirley schüttelt hartnäckig den Kopf. Lemuel hört sie sagen: »Ich bin heute einfach nicht in der Stimmung, Schatz.« Verärgert stakst Dwayne allein hinaus. Shirley wirft Lemuel quer durch den Raum Blicke zu und schiebt sich einen Kaugummistreifen in den Mund.
    Rain schmiegt sich wieder in Lemuels Arme und tanzt weiter. »Anscheinend fangen die jetzt unten mit den Videos an«, klärt sie ihn auf. Ohne den Tanz zu unterbrechen, drückt sie den Mund an sein Ohr und macht einen Trommelwirbel nach.
    »Was ist das?«
    »Trommeln.«
    »Trommeln?«
    »Die Trommeln, die ich im Kopf höre, verstehen Sie?«
    »Wahrscheinlich nichts Ernstes.«
    »Hören Sie sie nicht?« Sie lehnt ihren Kopf an Lemuels Ohr. »Hören Sie genau hin. Ratata, ratata. Ich hör sie. Es ist eine Botschaft in Morsezeichen. Direkt in meinem gottverdammten Ohr.«
    »Was für eine Botschaft?«
    »Die Botschaft lautet: ›Du wirst alt.‹ Sie lautet: ›Nicht mehr lange, und du wirst durchsichtige Blusen tragen, und keiner wird hinsehen.‹ Sie lautet: ›Du hast noch nichts mit deinem Leben angefangen, außer daß du dich abstrampelst. Du bist so besessen von Safer Sex, daß du gar keinen Sex mehr kriegst.« An manchen Tagen hör ich die gottverdammten Trommeln gar nicht. Aber sie sind immer da. Wenn ich die Augen schließe und mich darauf konzentriere, hör ich sie. Ratata. Ratata.«
    »Sind Sie nicht noch ein bißchen zu jung, um sich Sorgen übers Altwerden zu machen?«
    Verärgert rückt Rain von ihm ab. »Man ist nie zu jung, um sich übers Altwerden Sorgen zu machen. Ich hab D. J.s Russische Literatur 404 belegt – da geht’s hauptsächlich um L. N. Tolstoi –, um meine Scheine in Geisteswissenschaften zusammenzukriegen. L. N. Tolstoi, den kennen Sie doch, oder? Der hat mal was in der Art gesagt, daß eins im Leben sicher ist, nämlich daß man lebt und deswegen stirbt. Die einzige Zeit, wo der Körper nicht am Sterben ist, ist, wenn man bumst. Das ist jetzt von mir, nicht von Tolstoi. Lächeln Sie nicht so überheblich

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