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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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schwarzes Kästchen auf den Fernseher. Der Film läuft im Schnellgang rückwärts. Mit einem Ruck trennen sich die ineinander verzapften Gestalten, und alles lacht. Das Bild erstarrt für einen Moment, dann beginnt das Ballett von vorne, diesmal in Zeitlupe.
    In der dunkelsten Ecke stöhnt ein Junge: »Nein, hör um Gottes willen nicht auf.«
    Ein Mädchen kichert leise. »Aber ich muß mal Luft holen.«
    »Jetzt mach schon weiter, hm?«
    »Pssst.«
    »Oj!«
     
    Als Lemuel Rain nach dem Film nach Hause begleitet, verliert er sich in einem betörenden Wachtraum. Er ist fünfundzwanzig Jahre jünger und Student an der mathematischen Fakultät der Lomonossow-Universität auf den Leninbergen mit Blick auf Moskau. Naheinstellung von Lemuel als Mauerblümchen bei einem Komsomol-Tanzvergnügen in einem Kellerraum des Kulturzentrums. Plötzlich werden die Lampen abgedunkelt, und Rockmusik dröhnt aus den Lautsprechern. Großaufnahme von Lemuel, wie er nach links schaut und feststellt, daß er einen siamesischen Zwilling an der Hüfte hängen hat, ein Mädchen mit langem, dunkelblondem Pferdeschwanz. Verschiedene Einstellungen von Studenten, die sich in quälend langsamer Zeitlupe bewegen, selbstgedrehte Zigaretten anzünden und aneinander aufspießen. Schwenk auf Lemuels siamesischen Zwilling, als dieser sich an ihn schmiegt. Auf Lemuels Gesicht: Er spürt, wie eine ihrer Brüste seinen Arm streift, riecht ihren Lippenstift. »Kinderkram« ruft sie, um die Musik zu übertönen. Ihre Worte kitzeln ihn am Ohr. Schneller Schnitt auf den siamesischen Zwilling, der nach dem Nachtfalter in seiner Hose greift. »Ich zeige Ihnen, womit sich erwachsene Menschen die Zeit vertreiben.«
    Oj.
    Rain, die neben Lemuel hergeht, bemerkt seinen ins Leere gerichteten Blick. »Einen Rubel für Ihre Gedanken?«
    »Es gibt keinen Rubel mehr, jedenfalls keinen, der noch was wert wäre.«
    Rain will das Flämmchen der Unterhaltung am Leben erhalten, prallt aber an seinem gutturalen »Mhm« ab. Sie kommen an einem 24-Stunden-Waschsalon vorbei, biegen in eine ungepflasterte Gasse ein, bleiben an einer schmalen Holztreppe stehen, die in den ersten Stock eines Hauses hinaufführt. Rain haucht auf ihre Fäustlinge, um sich die Finger zu wärmen, und wendet sich Lemuel zu. Sie sieht ihn an und versucht, zu einem Entschluß zu kommen.
    Lemuel streckt ihr die Hand hin. »Ich danke Ihnen für den interessanten Abend.«
    Rain übersieht seine Hand, bemüht sich um einen ironischen Tonfall. »War mir ein Vergnügen. Wie hat Ihnen denn der Porno gefallen?«
    »Der Porno?«
    Sie tritt nervös von einem Fuß auf den anderen. »Der Pornofilm. Es wird doch wohl auch in Rußland solche Filme geben, oder? Würde mich interessieren, wie die amerikanische Pornographie im Vergleich dazu abschneidet.«
    Ein aufgeregtes Grunzen entweicht Lemuels Kehle. »Ich hab verkehrt herum durchgeschaut. die Gestalten waren zu klein.«
    »Sie haben ihn gar nicht gesehen?« Sie kann ihm die Antwort vom Gesicht ablesen. »Wachen Sie auf, L. Falk. Sie sind nicht bloß ein Stockfisch, Sie sind ein Weichkäse. Wenn ich auch nur halbwegs bei Verstand war, gab’s für mich nur eins: Verschwinde hier wie Wladimir! Da seh ich mir extra einen Hardcore-Film mit Ihnen an, und Sie gucken, verdammt noch mal, gar nicht hin! Wie soll ich Sie denn sonst scharf machen?«
    »Mich scharfmachen?«
    »Sie in Stimmung bringen. Hochbringen. Das Feuer anfachen für eine größere Verschmelzung.«
    Ganz leise sagt Lemuel: »Sie haben mich scharfgemacht, als sie mir die Haare in den Nasenlöchern geschnitten haben. Sie machen mich scharf, wenn Sie ins Zimmer kommen.«
    Rain fällt die Kinnlade herunter, dann macht sie den Mund langsam wieder zu, während in ihr ein Entschluß Gestalt annimmt. »Als ob ich Subtext sprechen würde, stimmt’s? Das mit dem Subtext hab ich aus der Einführung in die Psychologie. Man sagt was, meint aber eigentlich was ganz anderes. »›Ich kann nicht‹ bedeutet ›Ich will nicht‹. ›Ich weiß nicht‹ heißt ›Ich will nicht drüber nachdenken‹. Zum Beispiel könnte ich Sie jetzt zum Yjacking einladen.« Sie bemerkt den verständnislosen Blick in seinen Augen. »Yo, ich vergesse andauernd, daß Sie von einem andern Planeten sind. Yjacking ist, wenn man zwei Kopfhörer in ein und denselben Walkman einstöpselt. Wenn ich Sie jetzt zu mir hinauf einlade zum Yjacking, dann ist das, was ich eigentlich sagen will, also der Subtext: ›Ich bin absolut heiß, ich glaube, Sie

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