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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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erleichtert, das zu hören«, sagt Goodacre. »Sie wirken wie jemand, der weiß, auf welcher Seite sein Brot mit Butter bestrichen ist, der einen diskreten, gutgemeinten Rat nicht übelnimmt. Ich erinnere mich, daß ich Ihnen am Tag Ihrer Ankunft einen Tip hinsichtlich Ihrer äußeren Erscheinung gab. Nun, gesagt, getan.« Der Direktor entläßt einen Schwall jovialen, verschwörerischen Gelächters in Lemuels Richtung. »Ich kann Ihnen sagen, daß das Institut sich des Privilegs, einen Mann Ihres Kalibers unter seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern zu haben, sehr wohl bewußt ist. Wir wiegen uns gern in dem Glauben, mit dem Institut für fortgeschrittene Forschung an der Princeton University um die insgesamt für diesen Forschungszweig zur Verfügung stehenden Mittel zu konkurrieren. Und Kapazitäten wie Sie machen uns zweifellos konkurrenzfähiger. Und damit komme ich zum Kern der Sache, zum Auge des Sturms. Obwohl wir unseren Sitz in einem abgelegenen Tal in einem abgelegenen Winkel des puritanischen Amerika haben, sehen wir uns als Hort des Liberalismus, als eine tolerante Gemeinschaft gleichgesinnter Intellektueller. Was der einzelne tut und mit wem er es tut, ist seine eigene Sache.« Lemuel grunzt.
    »Nichtsdestotrotz«, fährt Goodacre fort, mit einer Stimme, die kaum noch vom leisen Knirschen eines rostigen Scharniers zu unterscheiden ist, »gibt es eine Schmerzgrenze. muß der Liberalismus irgendwo ein Ende haben.«
    Lemuel liest zwischen den Zeilen. »Sie sprechen von Rain.«
    »Sie sind aus der Wohnung über dem Rebbe ausgezogen. Sie sind zu ihr gezogen.«
    »Das verdammte Telefon ist heißgelaufen, wissen Sie. Die Nächte waren künstlich weiß – auf der Straße waren Filmscheinwerfer aufgebaut. Ich konnte die Nacht nicht mehr nutzen.«
    »Ich war fest überzeugt, ich würde Sie dazu bringen können …«
    »Rain hat mir angeboten, mir amerikanisches Englisch beizubringen.«
    »Am Institut wird eine Planstelle frei. ein fester Vertrag.«
    »Ich kann zu Ihnen sagen, daß unsere Beziehung, die zwischen Rain und mir, rein oraler Art ist. Der Rebbe hat uns wissen lassen, daß er an den Eastern Parkway zurückkehren, eine Talmudschule aufmachen und Vorlesungen über das Chaos im Alten Testament halten möchte.«
    Beide Männer holen tief Luft.
    »Um es ganz klar zu sagen«, setzt Goodacre neu an, »eine für alle Welt sichtbare Liaison zwischen einem der Gastprofessoren des Instituts und einer Friseuse, die in einem unteren Semester studiert und halb so alt ist wie er, belastet unsere liberale Tradition. Laut Vertrag, Lemuel – ich darf Sie doch Lemuel nennen? –, sind Sie für ein Semester hier bei uns. Es war unsere Hoffnung und, angesichts der Zustände in der ehemaligen Sowjetunion, doch wohl auch Ihre, daß dieses Gastspiel in eine Dauerstellung münden würde.«
    Lemuel rutscht unbehaglich auf der Couch herum. Sein Herz sagt ihm, daß die Russen, die gegen Napoleon kämpften, einen Fehler machten, als sie zurückwichen; Rains Vater hatte recht – man mußte sein Territorium an der gottverdammten Grenze verteidigen. Jetzt mache ich viel Aufhebens von einer Sache, die viel Aufhebens verdient. Ich sage zum erstenmal im Leben etwas ohne Subtext. Kann ich denn erwarten, das zu überleben? Will ich es denn überleben? Er schließt die Augen, massiert mit Daumen und Mittelfinger eine sich ankündigende Migräne und sieht sich, in einem quälenden Wachtraum, auf den befehlshabenden Offizier zugehen, sich als jüngstes designiertes Mitglied in der Geschichte der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften ausweisen und energisch gegen die Brutalität der Polizei protestieren.
    »Wahrscheinlich hab ich irgendwas nicht mitbekommen, J. Alfred«, hört er sich leise sagen, mit einer Stimme, die, wie seine zweite Unterschrift, auf keinen Fall seine eigene ist. »Ich darf Sie doch J. Alfred nennen? Hat es etwas mit Chaostheorie zu tun, mit wem ich ficke?«
    Goodacre fällt die Kinnlade herunter. Einen Augenblick lang fürchtet Lemuel, der Direktor erleide einen Herzanfall. Er fragt sich, ob man in Amerika der Schönen wegen Totschlags verurteilt werden kann, weil man etwas ohne Subtext gesagt hat.
    Schließlich schnappt Goodacres Mund wieder zu. Er kommt mit einem Ruck auf die Beine. »Danke, daß Sie vorbeigekommen sind«, sagt er. Er macht keine Anstalten, ihm die Hand zu geben.
    Lemuel zieht eine Schulter hoch. »Nicht der Rede wert«, murmelt er. »Allererste Sahne.«
    »Du hast was gesagt?« explodiert Rain,

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