Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
Vom Netzwerk:
Lemuel.
    »Ich habe in Oxford Sprachen studiert«, erklärt der Orientale. »Ich spreche sieben nahöstliche und fernöstliche Sprachen und zwölf Dialekte. Sie sind Lemuel Falk, der berühmte Zufallsforscher, nicht wahr?«
    »Berühmt – ich weiß nicht.«
    »Sie sind ungebührlich bescheiden«, sagt der Orientale mit beruhigender Stimme. »Ich würde gern mit Ihnen über den DES-Verschlüsselungs-Standard sprechen, den verschiedene Organe der amerikanischen Regierung benutzen, wenn sie sich untereinander verständigen wollen, ohne daß ihnen jemand dabei über die Schulter sieht.«
    Lemuel will sich drücken, versucht aufzustehen, aber der Orientale langt über den Tisch und packt ihn mit eisernem Griff am Handgelenk. »Der Verschlüsselungs-Standard beruht auf einer Geheimzahl, dem sogenannten Schlüssel, anhand dessen der Algorithmus die Mitteilung verwürfelt. Mit Hilfe derselben Zahl kann der Empfänger die Nachricht entschlüsseln.«
    Lemuel dämmert es, daß der Orientale ihn schon seit Tagen beschattet. Er erinnert sich, daß er ihn einmal an der Kasse des Supermarkts gesehen hat, erinnert sich, ihn erneut in der Zuschauermenge gesehen zu haben, als Dwayne und Shirley nackt über die South Main joggten. Und er hatte im Kakerlaken-Motel den Bungalow neben Axinjas gemietet.
    »Ich verstehe nicht, was das alles mit mir zu tun hat.«
    »Bitte lassen Sie mich ausreden. Um einen Code zu knacken, muß man ein Computerprogramm laufen lassen, das jeden möglichen Schlüssel ausprobiert, bis einer davon das Schloß entriegelt und die Tür aufspringt. Meine Vorgesetzten haben Grund zu der Annahme, daß Sie für Ihre früheren Arbeitgeber ein fast vollständig zufallsgesteuertes Verschlüsselungssystem entwickelt haben, das es einem Computer so gut wie unmöglich macht, zufällig auf den richtigen Schlüssel zu stoßen. Meine Vorgesetzten sind außerdem überzeugt, daß Sie, nachdem Sie dieses Wunder beinahe vollständiger Zufälligkeit vollbracht haben, sicherlich auch in der entgegengesetzten Richtung arbeiten und ein Computerprogramm entwickeln könnten, das komplizierte statistische Abweichungen in großen Datenmengen auflisten könnte – die Schwachstelle selbst bei fast perfekter Zufallssteuerung – und somit in der Lage wäre, jeden Verschlüsselungscode zu knacken, den es heute auf der Welt gibt.«
    Lemuel grunzt auf seine unverbindliche Art und befreit nicht ohne Mühe sein Handgelenk aus dem Griff des Orientalen.
    »Um mich wenigstens ein bißchen kürzer zu fassen«, sagt der Orientale. »Ich bin ermächtigt, Ihnen eine Dauerstellung anzubieten.«
    »Hey, ich hab schon einen Job.«
    »Wann läuft Ihr Vertrag mit dem Institut für fortgeschrittene interdisziplinäre Chaosforschung aus?«
    »Komisch, alle wollen wissen, wann mein Vertrag ausläuft. Ende Mai.«
    »Und was machen Sie dann? Ins geheiligte Sankt Petersburg zurückkehren und täglich fünf Stunden Schlange stehen, um Wurst zu essen, die aus toten Hunden fabriziert wurde?«
    »Habe ich eine andere Wahl?«
    Buddhas Augen verengen sich, als er das Zupfen an seiner Leine spürt und sie einzuholen beginnt. »Sie könnten leben wie Gott in Frankreich, genauer gesagt in einer kleinen ländlichen Gemeinde nicht weit von London, die sich der theoretischen Mathematik verschrieben hat. Sie könnten dort Ihre Suche nach reiner, unverfälschter Zufälligkeit auf unserem Supercomputer fortsetzen. Und in Ihrer Freizeit könnten Sie uns gelegentlich ein bißchen beim Erstellen oder Knacken von Geheimcodes zur Hand gehen. Und Sie könnten sofort Geld abheben, das bereits für Sie auf ein Konto eingezahlt wurde.«
    »Was für ein Konto?«
    Die Lippen des Orientalen verziehen sich zu einem aufrichtigen Lächeln. Er tippt auf ein paar Tasten eines Zahlenschlosses, läßt den Aktenkoffer aufschnappen, nimmt einen Paß und ein Sparbuch heraus und legt beides auf den Tisch. Lemuel blättert den Paß durch, es ist ein britischer, voller Ein- und Ausreisestempel verschiedener Länder. Außerdem enthält der Paß ein mehrere Jahre altes Polizeifoto von ihm und lautet auf den Namen Quinbus Flestrin. Lemuel schießt der Gedanke durch den Kopf, daß er, wenn ihm dieser Paß gehörte, nicht nur zwei Unterschriften, sondern auch zwei Namen hätte. Er schiebt den Paß beiseite und wirft einen Blick in das Sparbuch; offenbar hat jemand mit dem unwahrscheinlichen Namen Quinbus Flestrin bei einer Bank namens Lloyds 100000 englische Pfund zu seinen Gunsten eingezahlt. Er rechnet

Weitere Kostenlose Bücher