Der Gastprofessor
zwischen Hals und Schulter geklemmt, in ihren Hosentaschen nach einem Vierteldollar kramt, dann angewidert einhängt, als sie keinen findet. Zoom auf Rain, als sie merkt, daß die Tür sich nicht öffnen läßt, weil sich eine Boa constrictor um die Zelle gewickelt hat. Sie fängt an, mit ihren kleinen Fäusten gegen die Wände zu hämmern. Die Scheiben beschlagen sich von ihrem Atem, so daß ihr Gesicht verschwimmt. Lemuel könnte schwören, daß er ihre erstickten Schreie hört: »Hey, Mayday, Mayday. Ich bin in dieser gottverdammten Zelle gefangen, ja? Ich will hier raus.«
Lemuels inneres Auge zoomt zurück in die Totale. Die Telefonzelle steht einsam und allein in einem üppigen Garten.
»Ich bin ausgesperrt aus dem Garten Gottes«, hört er sich stöhnen. »Ich will rein.«
Im Radio ist ein Anrufer mit einer vertrauten heiseren Stimme am Telefon. »Ich habe zufällig gehört, wie Ihre letzte Gesprächspartnerin von Inzest sprach«, sagt er. »Wenn Gott wirklich gegen Inzest wäre«, sagt der Anrufer, »hätte er vielleicht zwei Paare im Garten Eden erschaffen statt einem einzigen. Oder, noch besser, zwei Gärten Eden nicht allzu weit voneinander entfernt, und in jedem von beiden ein Paar. Wenn Er das nicht getan hat, so bestimmt nicht deshalb, weil er nicht genug Erde gehabt hätte, ich spreche von Genesis 2, Vers 7: ›Und Gott der Herr formte den Menschen aus einem Erdenkloß.‹ Und auch sicherlich nicht daran, daß er keine überzählige Rippe gefunden hätte.«
»Charlene, das darfst du auf keinen Fall verpassen, ja? Ich hab hier einen an der Strippe, der sagt, Inzest ist das beste.«
»Ich behaupte nicht, er sei das beste. Ich meine nur, Gott hat vielleicht ein verschlüsseltes Signal an die schlimaslim und schlepnikim des Planeten Erde gesandt, als er nur ein Paar im Paradies erschuf.«
Der Moderator schneidet dem Anrufer das Wort ab. »Also ich unterbrech hier mal – welches verschlüsselte Signal hat Gott denn ausgesandt, als Er nur ein einziges Paar im Paradies erschuf?«
Der Mann am Telefon schneuzt sich hörbar, erst das eine, dann das andere Nasenloch. »Wie Moses«, sagt er schließlich, »kann ich vielleicht einen Berg erklimmen und einen Hauch vom Gelobten Land erschnuppern, ich spüre es in meinen Eingeweiden, ich spüre es in meinen Lenden, aber ich werde nie seine Erde küssen können.«
»Mir muß was entgangen sein. Was hat denn das Küssen des Gelobten Landes mit Inzest und zwei Leuten mehr im Garten Eden zu tun?«
Im Radio wird das Summen der Telefonleitung von dem schrillen Pfeifen des Freizeichens abgelöst.
Lemuel merkt, daß der Sheriff am anderen Ende der Leitung hellhörig wird. »Sie haben was?«
»Ich habe die Serienmorde aufgeklärt«, sagt Lemuel noch einmal. »Ich habe die letzten drei Nächte noch einmal alle Akten durchkämmt. Ich weiß, wer der Mörder ist.«
»Wo, zum Teufel, sind Sie?«
»In Backwater. An der South Main. In der Wohnung über dem Rebbe.«
»Schließen Sie die Tür ab«, befiehlt der Sheriff aufgeregt. »Machen Sie keinem auf außer meinem Norman. Er kommt Sie abholen, eh Sie einer Katze das Fell abziehen können.«
»Einer Katze das Fell abziehen«, wiederholt Lemuel interessiert.
Zwanzig Minuten später stößt ein blau und weiß lackierter Wagen mit einem gelben Blinklicht auf dem Dach in die Einfahrt unter Lemuels Balkontür. Sekunden später hört er Stiefel auf den Holzdielen trampeln. Der Rebbe ruft herauf:
»Wo brennt’s denn, Norman? Sie stoßen Bücherstapel mit dem Namen Gottes drin um.« Hartnäckiges Klopfen an der Tür. Lemuel hängt das Kettchen aus und macht auf.
Norman legt zwei Finger an die Hutkrempe. »Der Sheriff schickt mich«, erklärt er. »Ich soll Sie hinbringen, tot oder lebendig.« Er grinst dümmlich und geht kurz in die Knie, um sein Gemachte zurechtzurücken. »Keine Panik, er hat gesagt, lebendig wär ihm lieber.«
»Ich hole nur die Akten und bin wieder da, ehe Sie einer Katze das Fell abziehen können.«
Unten macht Norman die hintere Wagentür auf. Lemuel duckt sich und steigt ein. Er ist überrascht, daß zwei Männer in dem Auto sitzen, einer vorne, der andere hinten. Der vordere ist breitschultrig und hat einen kantigen Kiefer. Ohne eine Miene zu verziehen, dreht er sich zu Lemuel um.
»Mitchell, mit zwei l«, verkündet er. »FBI.«
Der blasse Mann neben Lemuel mustert ihn durch getönte Brillengläser, während er ihm seine weiche, teigige Hand reicht. »Doolittle«, stellt er sich vor.
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