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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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MilliardendreihundertdreißigMillionen
    zweihundertsiebenundzwanzigtausend
    siebenhundertdreiundfünfzig Dezimalstellen von Pi greift, um einen zufälligen dreistelligen Code zu extrahieren, der dann zur Verschlüsselung und Entschlüsselung geheimer Nachrichten dient.«
    Mit quietschenden Reifen biegt Norman von der Interstate ab und fährt vorbei an einem Wohnwagenpark und einem Autokino, in dem Die zehn Gebote über die Leinwand flimmern, auf einen schmalen, gewundenen Fahrweg. »Ich fahr einen Umweg«, ruft er nach hinten, »damit die Herren ihre Konferenz beenden können, bevor wir da ankommen, wo wir hinwollen.«
    »Ich habe viel über das Verhältnis zwischen Reise und Ankunft nachgedacht«, murmelt Lemuel. »Es liegt im Bereich des Möglichen, daß Reisen ohne anzukommen der ultimative Trip ist.«
    »Wie bitte?« sagt Mitchell.
    »Wir möchten, daß Sie als ranghoher Wissenschaftler an Bord des ADVA-Flaggschiffs kommen«, sagt Doolittle. »Wir möchten, daß Sie die militärischen und diplomatischen Codes knacken, die Sie für die Rußkis entwickelt haben. Was dabei für Sie drin ist? Das ist eine Frage, die Sie stellen könnten und stellen sollten.«
    »Also, was ist für mich drin?«
    »Ich bin froh, daß Sie fragen. Eine neue Identität, damit die bösen Buben aus Reno Sie nicht wiederfinden, ein sechsstelliges Gehalt, ein mietfreies Haus im Ranch-Stil mit drei Schlafzimmern in bequemer Entfernung von unserem Hauptquartier, das sich in Fort George Meade in Maryland befindet, eine Mercedes-Limousine mit getönten
    Fensterscheiben, ein unbegrenztes Visum, eine Green Card und eventuell die amerikanische Staatsbürgerschaft sind im Angebot inbegriffen.«
    »Im Angebot inbegriffen«, wiederholt Lemuel interessiert.
    »Eine kostenlose Schiffspassage dritter Klasse zurück nach Rußland«, meldet sich Mitchell vom Beifahrersitz, »ist im Angebot inbegriffen, wenn Sie uns einen Korb geben.« Doolittle will sich einmischen, aber Mitchell unterbricht ihn mit einer Handbewegung. »Es ist besser für alle Beteiligten, wenn wir nicht um den Brei herumreden.«
    »Um den Brei herumreden«, wiederholt Lemuel interessiert.
    »Wenn Sie sich gegen unser großzügiges Angebot entscheiden«, fährt Mitchell fort, »schicken wir Sie heim, mit einer an Ihre Stirn gehefteten Mitteilung mit der Anschrift ›An die zuständigen Stellenc. Und da wird drinstehen: ›Hiermit wird bestätigt, daß Falk, Lemuel, 46, Mitglied der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften, geschieden, jüdischer Abstammung, Atheist, die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika in dankenswerter Weise dabei unterstützt hat, russische Geheimcodes zu entschlüsseln.‹« Mitchells Gesicht überzieht sich mit einem fiesen Lächeln. »Sie können drauf wetten, Sportsfreund, daß die nicht den Fehler machen, Sie noch mal außer Landes gehen zu lassen. Sie werden den Rest Ihres natürlichen Lebens damit verbringen, nach Recycling-Toilettenpapier und Würstchen aus Sägemehl und Katzenfleisch in der Kantine des Steklow-Instituts anzustehen.«
    »Wir sind schon fast da, wo wir hinwolln«, verkündet Norman. Er läßt den Wagen über Eisenbahnschienen rumpeln, biegt gekonnt in eine Seitengasse ein und hält vor einer Hintertür. Eine nackte Glühbirne über der Tür beleuchtet ein Holzschild, auf dem »County Sheriff« steht.
    Lemuel räuspert sich. »Lassen Sie mich raten«, sagt er. »Sie möchten, daß ich es mir in Ruhe überlege, bevor ich eine Entscheidung treffe. Sie möchten, daß ich zwei, drei Minuten nachdenke, bevor ich ja sage.«
    »Es wird mir bestimmt Spaß machen, mit Ihnen bei der ADVA zusammenzuarbeiten«, meint Doolittle. »Neben all Ihren anderen Vorzügen haben Sie auch noch Humor.«
    Sheriff Combes’ Bierbauch quillt über seinen ledernen Pistolengürtel, als er sich in seinen Drehsessel sinken läßt. »Ich bin ganz Ohr«, sagt er und zieht nachdenklich an seiner Fünfundzwanzig-Cent-Zigarre.
    »Ganz Ohr ist etwas, womit ich mich anfreunden kann«, entgegnet Lemuel. »Ich war immer ganz erledigt.«
    Über den Schreibtisch hinweg faßt der Sheriff Lemuel mit professionellem Scharfblick ins Auge. »Welche Sprache sprechen wir heute?« Er wedelt mit fleischiger Hand einen Tunnel in den Zigarrenqualm, um den Mann besser zu sehen, der behauptet, das Rätsel der Serienmorde gelöst zu haben. »Englisch, schlag ich vor. Reden Sie Tácheles«, befiehlt er.
    »Tácheles reden?«
    »Machen Sie Nägel mit Köpfen.«
    »Nägel mit Köpfen machen?

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