Der Gastprofessor
Hey, welche Sprache sprechen wir denn nun wirklich?«
»Also wer ist der Täter, der die vielen Leute alle umgebracht hat?«
Lemuel geht die Akten durch und zieht eine heraus. »Sie müssen sich zunächst einmal klarmachen, daß die Serienmorde chaosbezogen sind«, sagt er. »Die Opfer wurden nicht nach dem Zufallsprinzip ausgewählt.« Er nimmt den Sheriff mit auf einen Rundgang durch seine Theorie. »Wenn die Serienmorde wirklich zufällige Verbrechen wären, ja?, würden sie ein verräterisches Muster zufälliger Wiederholungen erkennen lassen, beispielsweise zwei Opfer, die beide ein rotes Flanellhemd trugen, oder zwei Opfer mit demselben Alter oder Beruf. Daß ein solches verräterisches Muster fehlt, bedeutet, daß der Mörder Zufälligkeit simuliert hat – er hat die Opfer sorgfältigst nach ihrer scheinbaren Zufälligkeit ausgesucht.«
»Warum hat er Zufälligkeit simuliert?«
»Die Antwort springt genauso ins Auge wie – nichts für ungut – die Nase in Ihrem Gesicht«, klärt Lemuel den Sheriff auf. »Er wollte die Polizei überzeugen, daß die Morde zufällig seien, um sie von der richtigen Spur abzubringen.«
»Ich bin immer noch ganz Ohr.«
»Wenn die Polizei einmal annahm, daß Zufälligkeit das Motiv für die Verbrechen sei, würde sie anfangen, nach einem Verrückten zu suchen, der für die ganze Mordserie verantwortlich ist, und sich nicht weiter mit der Möglichkeit beschäftigen, daß eines der Opfer aus einem anderen Motiv umgebracht wurde. In dem Moment konnte der Täter den einen Menschen ermorden, auf dessen Tod es ihm ankam, den er aber nicht zu töten wagte, ehe dieses eine Verbrechen nicht als ein weiteres in einer Reihe zufälliger Morde getarnt werden konnte.«
Der Sheriff nimmt dies alles mit einem skeptischen Kopfnicken auf. »Ich schätz«, sagt er, ohne anzugeben, was er schätzt.
»Mit den Methoden der Spieltheorie berechnete ich, daß der Serienmörder die Person, auf die er es eigentlich abgesehen hatte, töten würde, wenn er etwa zwei Drittel seiner Opfer umgebracht hatte, und dann noch das letzte Drittel erledigen würde, um den Anschein zu erwecken, daß der Serienmörder weitermacht. Dementsprechend begann ich mit der gründlichen Sichtung der Akten bei Mord Nummer zwölf. Bei Nummer fünfzehn wurde ich fündig – ich entdeckte das eigentliche Opfer des Serienmörders.«
»Das fünfzehnte Opfer war Purchase Honeycut, der selbsternannte Gebrauchtwagen-Nabob unserer drei Kreise«, erinnert sich der Sheriff. »Hat einen ganz schönen Wirbel gemacht, wie sie dem seine Leiche gefunden haben.«
»Der Akte zufolge, die Sie mir gegeben hatten, gehörte Honeycut die Gebrauchtwagenhandlung an der Interstate am Stadtrand von Hornell. In derselben Akte versteckte sich ein Detail, das anscheinend niemand groß beachtet hatte: Honeycut hatte einen stillen Teilhaber – und das war kein anderer als sein Schwager Word Perkins, der Hausmeister, Chauffeur und Nachtwächter am Institut für fortgeschrittene interdisziplinäre Chaosforschung.«
»Stiller Teilhaber sein is kein Verbrechen. Wo bleibt das Motiv?«
»Honeycut und Word Perkins haben einen notariellen Vertrag geschlossen, demzufolge beim Tod des einen die Firma dem überlebenden Partner zufallen sollte. Als sie vor zwölf Jahren anfingen, war der Laden so gut wie nichts wert. Seit damals hatte sich Honeycut aber von Perkins’ Schwester scheiden lassen und den ›Gebrauchtwagen-Basar‹ so vergrößert, daß er ein kleines Vermögen wert war. Prüfen Sie’s nach. Die schmutzigen Details sind alle kleingedruckt im Bericht der Staatspolizei zu finden. Seit die Polizei nach einem Serienmörder sucht, ist der notarielle Vertrag im Eifer des Gefechts in Vergessenheit geraten.«
Der Sheriff kratzt sich mit mehreren Fingernägeln den Stoppelbart. Lemuel, von dem Geräusch abgelenkt, sagt: »Das ist noch nicht alles.«
»Nur zu.«
»Honeycuts Leiche wurde auf einem Autofriedhof an der Route 17 gefunden.«
»Er war über dem Lenkrad von einem demolierten Toyota zusammengesunken, im linken Ohr den Einschuß von einem mit Knoblauch eingeriebenen Dumdum-Geschoß Kaliber.38«, erinnert sich der Sheriff.
»Sie haben eindeutig einen Blick für Details, Sheriff. Wissen Sie also auch noch, was in seiner Jackentasche war?«
Der Sheriff nickt vorsichtig mit seinem schweren Kopf, fast als hätte er Angst, es könnte ein Gedanke herausfallen. »Ein Hörgerät, was insofern komisch war, weil Purchase Honeycut nicht schwerhörig
Weitere Kostenlose Bücher