Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
die Tränen ihm in die Augen stiegen. Dann legte er den linken Arm um den Nacken der alten Bärin, drückte ihr die Stirn an den pelzigen Schädel und tastete mit dem Daumen der Dolchhand nach der Schlagader unter dem Halsfell. Als er sie spürte, setzte er die Spitze der Klinge an genau der Stelle auf das Fell. Mit aller Kraft stieß er zu.
*
Feuchtwarme Luft stand im Zelt, es stank nach Krankheit, Schweiß, Kerzenwachs, Urin und nach der Salbenmischung, die der Wundarzt jetzt auf Schneebergers zerfleischten Rücken auftrug. Von Herzenburg sehnte das Ende des Verbandswechsels herbei.
Neben ihm hatte Mathias von Torgau nur Augen für Schneebergers neue Hure, ein blondes Bauernmädchen. Das reichte dem Wundarzt Spatel, Salbentöpfe und Wundlöffel an. »Dumm’s Luada!« Der Wundarzt schlug dem Mädchen mit dem Handrücken ins Gesicht, weil sie ihm einen Spatel statt des verlangten Löffels hinhielt. »Träumt’s denn?« Die zitternden Hände des Mädchens flogen über die Instrumente, fanden das richtige, reichten es ihm.
Der Wundarzt schabte und kratzte an den fauligen Wundrändern auf Schneebergers Rücken herum, schmierte das abgestorbene Fleisch in ein schmutziges Tuch. Der Feldwebel stöhnte bei jeder Berührung auf. Sein Rücken sah aus wie ein gehäuteter und von einer fünfzackigen Gabel zerfurchter Schweinebauch.
Zwei Kerzen auf hohen silbernen Leuchtern brannten rechts und links des Krankenlagers. Wie das Seidentuch in von Herzenburgs Rocktasche stammten auch sie aus jenem Jagdschloss im Odenwald. Ihr Licht flackerte auf dem blutig glänzenden Rücken des Feldwebels. Der Wundarzt verlangte Spatel und Salbentöpfe, Schneebergers Hure reichte an, was er verlangte mit zitternden Fingern, aber fehlerlos – Mathis von Torgau beobachtete jede ihrer Bewegungen. Dem Rittmeister gefiel das nicht.
»A Mischung aus Bienenharz und Tollkirsch«, erklärte der Wundarzt in schwer verständlichem Salzburger Dialekt, während er die Salbe auftrug. Er verlangte den nächsten Topf. »Do is da Kren, de Kressn und de Süwapoperindn dreij«, sagte er, und weil er von Herzenburgs begriffsstutzige Miene bemerkte, fügte er hinzu: »Meerrettich, Indianische Kresse und Silberpappelrinde.« Er schmierte die Salbe auf den entzündeten Rücken, wie er sonst wohl Fett auf seine Stiefel schmierte – ohne jedes Gespür für die Schmerzen des Feldwebels. Der stöhnte, hob den großen Schädel, riss den Mund auf und hielt den Atem an. »Und an Zwiefie natialich«, sagte der Wundarzt. »Stinkt ois in oin a weng, hüft owa muads.«
Der Rittmeister verstand nur Zwiebel , und dass es stank, war ihm nicht entgangen. Der Arzt erinnerte ihn an den Herrn Grafen. Die Grobheit, die laute Art, vielleicht auch der grausame Zug um den Mund. Als Wundarzt genoss der Salzburger den besten Ruf in Tillys Armee; er gehörte zum Regiment des Obristen Mortaigne.
Vorgestern, nach der Messe, hatte er zum ersten Mal nach dem Schwerverwundeten geschaut. Von Bernstadts Feldscher hatte der Rittmeister in der Nacht zuvor wieder weggejagt. Der hatte sein Handwerk bei Schmieden und Barbieren gelernt und taugte nur zum Furunkelöffnen und Gliederabsägen.
Der Wundarzt arbeitete schnell. Statt an einen zerfurchten Schweinebauch erinnerte Schneebergers Rücken von Herzenburg jetzt, wo die Salbenauflage ihn mehr und mehr bedeckte, an den Johannesbeerkuchen mit Zuckerguss, den es zu Hause auf der Herzenburg Sommer für Sommer gegeben hatte; früher, als seine Mutter noch lebte.
Johann Schneeberger stöhnte wieder leise vor sich hin. Manchmal, wenn die Schmerzen erneut unerträglich wurden, griff er nach dem Handgelenk des Bauernmädchens und umklammerte es.
Vier Tage lang hatte Maximilian von Herzenburg kein vernünftiges Wort mit seinem Feldwebel wechseln können, zuerst wegen dessen Besinnungslosigkeit, dann wegen des hohen Fiebers, was ihn in einen sabbernden Narren verwandelt hatte. Seit den frühen Morgenstunden nun schien er wieder klarer im Kopf und geschickter mit der Zunge. Der Rittmeister wollte unbedingt mit ihm sprechen.
Der Wundarzt legte ein Leinentuch über den Verband, umwickelte Schneebergers Oberkörper mit einem zweiten, größeren Tuch. Danach packte er seine Sachen in einen steifen, abgegriffenenLederkoffer, stand auf und ging zum Eingang. »Des Fiaba wird wiedakemma«, raunte er von Herzenburg zu. »Scho boid.« Und noch leiser fügte er hinzu. »I an Enkana Stö tat ma an neichn Födwebel suachn.« Und wieder lauter: »Hobe die Ehre,
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