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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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Muttersprache – das schien so ganz nach ihrem Geschmack.
    David aber dachte an die vergangenen Nächte, an die Schreie der Gequälten, an das Heulen der Verängstigten, an das Jammern und Wehklagen der Geschändeten und Gedemütigten. Er dachte an Susanna. Und an die Messebesucher heute Morgen dachte er auch. »Was für eine seltsame Welt«, murmelte er und wandte sich ab. »Was für eine labyrinthische Bühne.« Drei Türen weiter betrat er den Stall.
    Der Kolkrabe flatterte durch die Dunkelheit herbei und ließ sich auf seiner Schulter nieder. Der Engländer strich winselnd um seine Hüften. David hob die Öllampe, ihr warmes Licht viel auf Hund und Vogel. »Habt ihr gut auf sie achtgegeben?« Er tastete sich durch den Stall; Stimmen und Musik blieben zurück. Durch eine nur angelehnte Tür betrat er einen kleineren, fensterlosen Raum, der früher einmal als Werkzeugkammer der angrenzenden Schmiede gedient hatte. Die Gaukler benutzten ihn als Zeuglager, seit sie ihren Zeugwagen hatten verkaufen müssen. In einer Mauernische neben dem Durchgang zur ehemaligen Schmiede hatte David einen Kienspan in einem Tonhalter brennen lassen, damit die fiebernde Susanna nicht ganz im Dunkeln liegen musste. Er hob seine Leuchte, und ihr Schein riss die Silhouetten einiger Möbel aus dem Halbdunkel: leere Musikinstrumentenkoffer und Laurettas von Spinnennetzen eingesponnene Zielscheibe standen an den Backsteinwänden. Stroh und Heu häuften sich da und dort, und überall sah man Körbe und Kisten mit Kostümen, Vorhängen, Sacktuch und Pferdegeschirr.
    Hinter der Zielscheibe und dem Tisch, auf dem Stephan in besseren Zeiten seine Zahnzangen, Hebel und Zahnschlüssel in Bereitschaft brachte, lag in einem Heuhaufen Bela. Und hinter seinem schweren Pelzleib – Susanna.
    Mit dem gekrümmten Rücken hatte sie sich an den Bären gedrückt, die Beine angezogen und die Hände über den Knien gefaltet und an den Mund gepresst. Betete sie? Schlief sie? Davidhatte gehört, dass ungeborene Kinder in ähnlicher Haltung im Mutterleib kauerten.
    Er ging vor ihr in die Hocke und warf einen Blick auf das Geschirr: Das Essen hatte sie nicht angerührt, der Wasserkrug immerhin war halbleer. Er legte ihr die Hand auf die Stirn – heiß und trocken fühlte die sich an. Susanna zuckte zusammen, öffnete die Augen und schlug seine Hand weg. David wusste nicht recht, was er sagen sollte.
    Die Landgräfin hatte keine böse Miene gezogen, nicht geschimpft, nicht einmal unwillig den Kopf geschüttelt. Sie hatte die gebrochene Frau nur wortlos angeschaut und sie danach untersucht, gewaschen, mit Wäsche versorgt und eine Spülung an ihr vorgenommen, die nur »uns Frauen etwas angeht«, wie sie sich ausdrückte. Zum Schluss flößte sie Susanna noch eine Tinktur ein, »nicht nur gegen das Fieber«, wie sie erklärte. »Es ist die wunde Seele, die sie fiebern lässt«, sagte sie noch, »weniger der wunde Leib.« David hatte sich vorgenommen, der Landgräfin Marianne zur Wagenburg all das niemals zu vergessen.
    Alle Gaukler wussten von Susanna, und inzwischen auch Franz Hacker. Unter Todesdrohungen und beim Leben seiner Mutter hatten sie den Schwaben schwören lassen, niemandem gegenüber auch nur ein Wort über die junge Frau fallen zu lassen.
    »Wie geht es dir?«, fragte David leise. Sie antwortete nicht. »Kennst du jemanden unter den Papisten?« Sie blickte hoch zu ihm und schüttelte kurz den Kopf. »Soldaten haben nach dir gefragt. Im Haus deines Onkels, des Tuchmachers.«
    »Du warst dort?« Sie krächzte flüsternd. »Wie geht es ihnen?«
    »Deine Tante ist unverletzt, doch sie redet nichts.« Er hatte sie im Weinkeller bei zwei schon stinkenden Leichen gefunden – mit zerschlagenem Gesicht und zerrissenen Kleidern. »Dein Cousin, der Martin, spricht auch nicht mehr viel. Doch von ihm weiß ich’s. Ich habe niemandem gesagt, dass du hier bist. Zu gefährlich.«
    Reiter aus Tillys Armee seien es gewesen, die nach Susanna gefragt hatten, Arkebusiere. Einer hätte eine blaue Standarte mit einem goldenen Hirschgeweih getragen. »In der ganzen Gasse haben sie die Leute befragt, konnten dich genau beschreiben. Sie suchen dich überall.« Das hatte ihm ein Greis aus der Nachbarschaft des toten Tuchmachers erzählt.
    »Wie kann das sein …?« Sie schüttelte den Kopf, begriff wohl nicht, was er da sagte.
    »Ich weiß es nicht. Doch ich weiß, wie ich dich heil aus der Stadt bringen werde. Du darfst dich nur nicht vor dem Stall zeigen bis dahin.« Sie

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