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Der Gebieter

Der Gebieter

Titel: Der Gebieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Whalen Turner
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Ärger über die Störung Ausdruck zu verleihen, sah er keinen gemeinen Barackenjungen in der Tür stehen, sondern Ion, einen der eleganten, gut gekleideten Kammerherren des Königs.
    Im Augenblick sah Ion allerdings alles andere als elegant aus; er starrte Costis nur entsetzt an. »Zieh dich an. Wasch dich. Du wirst in der Wachstube der Königin erwartet.«
    »Wann?«
    »Jetzt«, sagte der Kammerherr. »Schon vor Stunden. Du hättest da sein sollen, als der König eben nach dir fragte. Er sagte gestern Nacht schon, dass man dich holen sollte, aber wir dachten, das würde er nicht ernst meinen.«
    »Und jetzt ist er erzürnt?«
    »Jetzt ist die Königin erzürnt.«
    Costis goss eilig Wasser aus einem Krug in eine Schale und begann sich das Gesicht zu schrubben.
     
    Die Königin wartete im Vorzimmer zum Schlafgemach. Wie beim letzten Mal hatte sie Ornon bei sich. Sie warteten beide. Die Königin stand auf, als Costis eintrat. Nein , dachte Costis, sie stand nicht auf. Sie erhob sich  – wie eine Gewitterwolke sich drohend am Sommerhimmel auftürmt. Er konnte versuchen zu erklären, dass er nicht gewusst hatte, dass er im Dienst bleiben sollte, und dass der Hauptmann persönlich ihn fortgeschickt hatte. Er konnte auch zurück in die Wachstube rennen, sein Schwert aus der Halterung reißen und sich hineinstürzen. Das Ergebnis würde wahrscheinlich dasselbe sein.
    »Du wirst diese Gemächer nicht ohne königliche Erlaubnis verlassen«, befahl die Königin. »Du wirst hier essen und schlafen. Du wirst beim König bleiben, bis er dich entlässt, und alles unternehmen, um dich so unentbehrlich zu machen, dass er dich nicht fortschickt.«
    »Ja, Euer Majestät.«
    »Ornon«  – ihr Blick huschte kurz zu dem eddisischen Botschafter hinüber  – »glaubt, dass die Erfahrung lehrreich sein wird. Versuche also, etwas zu lernen.«
    »Ja, Euer Majestät.« Die Königin musterte ihn einen Moment lang. Sie bot ihm diese eine Gelegenheit, noch etwas zu sagen, wenn er denn etwas sagen wollte. Aber Costis schwieg. Als er sich selbst mit ihren Augen sah, erinnerte er sich an etwas, woran er seit Tagen  – ja, seit dem Attentat  – nicht mehr so recht gedacht hatte: dass er nur dem Namen nach Leutnant war und dass er sich nur aufgrund seines Versagens jetzt hier in den königlichen Gemächern befand. Er war daran gescheitert, die Beherrschung zu wahren, auch daran, seinem Eid treu zu bleiben. Daran, seine Pflicht zu tun. Er hatte nichts zu sagen.
    Die Königin ging, gefolgt von Ornon. Zitternd ging Costis auf die Tür des Schlafzimmers zu, um den König aufzusuchen.
     
    Zwei Männer in eddisischer Uniform saßen auf Stühlen am Fenster. Sie hatten sich einen kleinen Tisch herangezogen und würfelten auf der mit hölzernen Intarsien verzierten Platte. Costis musterte sie argwöhnisch, während der König das wiederholte, was die Königin Costis eben schon im Vorzimmer gesagt hatte. Der König saß im Bett, umgeben von Papieren und Pergamentblättern, die zu willkürlichen Mustern verstreut waren. Eine offene, lederne Botentasche lag unpassend rau auf dem weichen, bestickten Stoff der Bettdecke.
    »Ich habe mehr Gesellschaft, als ich brauche«, sagte der König. »Du kannst in die Wachstube gehen.«
    Costis räusperte sich unbehaglich. »Die Königin sagt, dass ich bleiben soll.«
    »Und deshalb fürchtest du dich zweifellos davor zu gehen. Das täte ich auch. Also bleib hier, dann stelle ich dich Aulus und Boagus vor, meinen lieben Verwandten, die zu mir gekommen sind, um mir die Zeit bis zu meiner Genesung zu vertreiben.«
    Costis fragte sich unwillkürlich, ob das hier die Cousins waren, die den König in die Zisterne gehalten hatten.
    »Behalt Aulus im Auge«, warnte der König bitter. »Wie der Stier, nach dem er aussieht, hat er schon Leute versehentlich mit einem einzigen Schritt zerquetscht.«
    Aulus beäugte den König einen Moment lang wortlos; dann stand er auf. Aulus war, wie Costis aufging, ein Koloss . Im Sitzen hatte er nicht so riesig gewirkt, aber wenn er stand, schien er beinahe das ganze Zimmer auszufüllen. Er ragte drohend über dem König auf, als er sich bückte, um die Papiere und Berichte auf dem Bett einzusammeln.
    Der König heftete ein Papier mit dem Haken an die Bettdecke. »Das hier lese ich gerade!«, wandte er ein. Aulus beachtete ihn gar nicht. Er zog nur an dem Papier, bis es sich losriss. Er legte das zerfetzte Blatt auf den Stapel, den er aufgeschichtet hatte, und schob ihn in die

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