Der Gebieter
lächelte über den trockenen Tonfall seines Freunds. »Nicht zu vergessen, dass er der König ist und ich ihm nicht den Hals umdrehen kann.«
»Vielleicht schießt er sich irgendwann auf Sejanus’ Bruder ein und lässt dich in Ruhe.«
»Ich wünschte, er täte es«, sagte Costis inbrünstig.
Sejanus’ Bruder war Erondites der Jüngere, genannt Dite. Er
war der Erbe seines Vaters. Während der Vater einer der ältesten Feinde der Königin war, war Dite einer ihrer eifrigsten Parteigänger.
Dite war Dichter und Musiker; es wurde allgemein vermutet, dass er der Verfasser eines deftigen Lieds war, das die Runde durch den Palast und die Garde machte. Costis hatte früher am Abend im Speisesaal davon erfahren. Es hatte die Art Melodie mit eingängigem Refrain, die einem im Kopf hängen blieb, und schilderte in makellosen klassischen Pentametern auf demütigende Weise den König in seiner Hochzeitsnacht. Costis würde aufpassen müssen, das Lied nicht unwillkürlich in Anwesenheit des Königs zu summen.
»Zumindest würde ich Dite das Schlimmste wünschen«, sagte Costis, »wenn ich nicht wüsste, wie glücklich es Sejanus machen würde, seinen älteren Bruder gevierteilt zu sehen.«
Sejanus spielte ein umsichtiges Spiel: Obwohl er der Königin diente, hatte sein Verhältnis zu seinem Vater nie darunter gelitten. Der Baron verachtete Dite und sprach nur im Tonfall vernichtendster Geringschätzung von ihm, aber Dite war immer noch sein Erbe.
Offenbar teilte Eugenides die Verachtung, die der Baron für seinen älteren Sohn empfand. Er machte keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen Dite. Dite seinerseits machte sich nicht die Mühe, seinen Abscheu vor dem König zu verbergen. Der König beleidigte Dite mit barbarischer Direktheit. Dites Antworten waren auf attolische Art subtiler, aber darum nicht weniger kränkend. Das Lied war nur das neueste Beispiel dafür.
»Ich habe gehört, dass der König ihn fast so sehr verhöhnt, wie er dich aus der Reserve zu locken versucht.«
»Er muss glauben, dass damit keine Gefahr verbunden ist. Baron Erondites wird sich schließlich nicht in Dites Namen beschweren.«
Am nächsten Morgen war der König bei den Waffenübungen beinahe forsch in seinen Bewegungen, aber eindeutig mit den Gedanken meilenweit entfernt. Costis fragte sich, ob er an Dite dachte. Irgendjemand hatte an diesem Morgen die Melodie zu Die Hochzeitsnacht des Königs auf dem Übungsplatz gepfiffen. Die zarten, unverkennbaren Töne waren in die Stille gesickert, als der König eingetroffen war. Er musste sie gehört haben, hatte sich aber nichts anmerken lassen. Costis seufzte verächtlich, und das hölzerne Schwert des Königs sprang über Costis zur Abwehr erhobene Waffe und traf ihn hart an der Schläfe.
Costis zog sich sofort in eine verteidigungsbereite Hocke zurück, falls noch ein Angriff erfolgen sollte, aber der König hatte das Schwert gesenkt und stand still; er wirkte gereizt.
»Eis!«, rief er zu den Jungen hinüber, die von der Wand her zusahen, und einer von ihnen huschte davon.
Costis dröhnte der Kopf, und eine Hälfte der Welt sah seltsam hell und dunkel zugleich aus. Er hatte eine hohle Hand über den Schmerz gelegt, hielt in der anderen aber immer noch das Übungsschwert. Der König entzog es ihm sanft. Costis legte sich beide Hände ums Gesicht. Es tat weh.
»Es tut mir leid«, sagte der König.
»Meine Schuld«, keuchte Costis höflich.
Es bildete sich ein Menschenauflauf um sie herum. »Lass mich das ansehen.«
Costis senkte die Hand, und der König langte nach oben, um seinen Kopf herumzudrehen. »Kannst du aus dem Auge hier sehen?«
»Ja, Euer Majestät.«
»Bist du dir sicher? Halt dir das andere Auge zu.«
Costis tat wie geheißen. Die Welt sah immer noch seltsam aus. Die Gestalten um ihn herum zeichneten sich dunkel ab, waren aber klar zu erkennen.
»Es war die flache Seite«, sagte Teleus irgendwo außerhalb von Costis’ Gesichtsfeld.
Der König seufzte. »Es war die Schneide«, sagte er. »Und das – bei den Göttern, Costis! – auch noch beim Ausholen in der Prim. Wie peinlich für uns beide.«
Es war peinlich. Bei Übungskämpfen sollte man seinem Gegner nicht ins Gesicht schlagen, und noch schlimmer war es, ihn mit der Schneide des Holzschwerts statt mit der flachen Seite zu treffen. Aber auch noch von einem einhändigen Gegner, der zu einem Primhieb ausgeholt hatte, getroffen zu werden, war die tiefste Erniedrigung überhaupt. Costis seufzte.
»Meine
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