Der Gebieter
»Sie ist schön und frisch verwitwet
– aber dieser dumme Esel beharrt darauf, mit ihrer Schwester zu tanzen.«
»Warum setzen wir dann nicht die Schwester ein, wenn sie Eindruck auf den König gemacht hat?«
»Sie liest Theaterstücke. Sie stickt. Sie ist ein schlichtes Gemüt, unverheiratet und nichtsnutzig. Ihre Schwester ist zwei Mal verwitwet und hinreichend darauf vorbereitet, den König an der Nase herumzuführen. Sie muss seine Mätresse werden. Ich habe ihren Vater angewiesen, sie beide zu verprügeln, besonders die jüngere. Sie wird nicht noch einmal mit dem König tanzen. Was ist mit dir?«
»Was soll mit mir sein?«
»Ich will nicht, dass du auch entlassen wirst. Du bist der eine Kammerherr, der bleiben muss.«
»Verlass dich drauf«, sagte Sejanus. »Er wird mich nicht gehen lassen.«
»Da habe ich etwas anderes gehört.«
»Er ist von mir abhängig. Den anderen Kammerherren ist das nicht bewusst, aber der König und ich sind auf dem besten Weg, Verbündete und von Tag zu Tag bessere Freunde zu werden. Er wird mich nicht entlassen, wenn er die anderen hinauswirft.«
»Du scheinst dir sehr sicher zu sein«, sagte der Baron.
»Oh ja, das bin ich«, erwiderte Sejanus.
Nachdem sie gegangen waren, verlagerte Eugenides ein wenig sein Gewicht auf den Balken über der kunstvoll geschnitzten Zwischendecke, die eigentlich eher ein Sichtschutz war. Er saß im Schneidersitz im Dunkeln und betrachtete das Zimmer unter sich, das so günstig abgelegen, aber nicht weit von den königlichen Gemächern entfernt war. Der Baumeister, der es geplant und das Schnitzen des hölzernen Sichtschutzes für die falsche Decke überwacht hatte, war einer von Eugenides’ Vorvätern gewesen. Er hatte es »das Verschwörungszimmer« genannt.
Lautlos wie eine Eule kehrte Eugenides in sein Zimmer und ins Bett zurück. Als er dort im Dunkeln lag, flüsterte er bei sich: »Also ist Sejanus mein lieber Freund. Wie seltsam, dass ich das noch nicht wusste. Und die arme Heiro muss es ausbaden, dass sie mit mir getanzt hat. Sejanus, lieber, lieber Sejanus, ich frage mich, was für ein Spiel du spielst!«
Am nächsten Abend tanzte er wieder mit Heiro, der kleinen Schwester der Dame Themis. »Das habt Ihr sehr geschickt gemacht« , sagte er zu ihr.
»Wie bitte, Euer Majestät?«
»Ich meinte die Art, auf die Ihr versucht habt, zu vermeiden, mit mir zu tanzen – ganz in der Berechnung, dass ich darauf bestehen würde, es doch zu tun. Nur das.« Er wies auf den Tanz, als sie sich voneinander lösten.
Als sie wieder zusammentrafen, sagte er: »Wisst Ihr, dass ich gehört habe, wie Euch jemand als ›schlichtes Gemüt‹ bezeichnet hat?«
»Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, Euer Majestät.«
»Das wusste er auch nicht«, sagte der König.
»Euer Majestät …«
»Waren die Prügel sehr schlimm, meine Liebe?«
Sie stolperte ein wenig. Er ergriff ihren Arm.
»Ihr seid müde. Erlaubt, dass ich Euch zu einem Sitzplatz führe.« Die Tänzer um sie herum wichen beiseite, und er führte sie zwischen ihnen hindurch.
»Ich kann den Tanz mit Eurer Schwester beenden.«
Ihr Griff um seinen Arm verstärkte sich.
»Nur den einen Tanz, meine Liebe«, sagte der König. »Danach tanze ich mit einer anderen, versprochen. Ich kann nicht zulassen, dass Ihr geschlagen werdet, weil Ihr Euch zwischen mich und die reichlich raffgierigen Klauen Eurer Schwester
werft. Ich frage mich allerdings, warum Ihr glaubt, dass ich es wert bin, gerettet zu werden.«
»Vielleicht, weil ich Augen im Kopf habe, Euer Majestät«, sagte Heiro.
Eugenides war einen Moment lang fassungslos. »Dann muss ich wohl vorsichtig vorgehen, nicht wahr? Und Ihr müsst Euren Vater darauf aufmerksam machen, welche Vorteile es hat, wenn der König zumindest eine seiner Töchter bewundert, selbst wenn es die falsche ist. Wenn es Euch vor einer Tracht Prügel bewahrt, dürft Ihr mir jederzeit einen Besuch abstatten.« Er beugte sich über ihre Hand.
Er spürte, wie sie erschauerte; als er einen Blick über die Schulter warf, sah er, dass ihr Vater sich ihnen näherte. »Er wird sich fragen, was Ihr Bewundernswertes an mir findet«, sagte Heiro.
»Das ist einfach«, erwiderte der König von Attolia. »Erzählt ihm, dass ich Eure Ohrringe mag.«
»Vielleicht möchte Eure Majestät mit meiner Freundin Eunice tanzen. Sie ist ein hübsches Mädchen«, sagte Heiro schnell.
»Ich mag hübsche Mädchen. Mit wem noch?«
Sie nannte ein paar weitere Namen, verstummte
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