Der Gedankenleser
immer wieder davon an. Außerdem hatte ich sexuell keinen Bock mehr auf sie.«
»Warum?«
»Die Luft war raus. Das wirst du doch wohl am besten verstehen. Außerdem hatte sie bis zum Schluss eine Angewohnheit, die mir auch noch den letzten Rest Leidenschaft geraubt hat.«
»Eine Angewohnheit?«
»Ja, eigentlich kann man es gar nicht erzählen. Ich weiß auch nicht, wie ich das all die Jahre ausgehalten habe. Wahrscheinlich wäre jeder andere Kerl schon nach ein paar Wochen abgehauen ...«
Es entstand eine kleine Gesprächspause. Moritz füllte erneut unsere Gläser, ging zum Schrank und holte aus einer Schublade eine Schachtel Zigaretten.
»Du rauchst auch noch?«, fragte ich.
»Ja, ich glaube, ich werde es nie schaffen, von dem Zeug wegzukommen. In den letzten Jahren hab ich's, lass mich nachdenken, viermal versucht. Und momentan ist es mir egal. Willst du auch eine?«
»Eigentlich rauche ich nicht mehr so viel wie früher. Aber gerne! Vielen Dank!«
Nun war ich neugierig geworden, welche unausstehliche Angewohnheit Birte gehabt haben mochte. Ich überlegte kurz, ob ich nachfragen sollte, aber da kam mir Moritz schon zuvor.
»Also, du willst bestimmt wissen, was mit Birte los war!«
»Ja, klar.«
Und plötzlich hatte ich das Gefühl, als wäre unsere Freundschaft nie unterbrochen gewesen. Die alte Vertrautheit stellte sich wieder ein - und ich genoss es regelrecht. Ohne den Cognac aber wäre es sicher nicht so schnell gegangen. Davon bin ich überzeugt.
»Sie hat, du wirst es nicht fassen, immer, und ich betone immer, nach dem Sex geheult. Anfangs, weil es so gut war, später, weil es nicht mehr so gut war und sie keinen Orgasmus mehr bekommen hat. Dann saß ich neben ihr im Bett - und sie heulte, als wäre ihre Mutter gestorben. Kannst du dir das vorstellen?«
»Immer?«
»Immer!«
»Manchmal ist sie, wenn wir fertig waren, sofort ins Bad gerannt, und dann hörte ich sie durch die Tür schluchzen.«
»Unfassbar. Warum hast du das so lange mitgemacht?«
»Ich weiß auch nicht. Wahrscheinlich lag es an der Kleinen. Die kam ja schon in unserem ersten Jahr.«
Moritz zog immer wieder hektisch an seiner Zigarette. Als wäre er nervös. Den Rauch blies er mit kräftigen Stößen aus seinem rechten Mundwinkel. So hatte ich ihn früher nie rauchen sehen.
»Dass du überhaupt noch in der Lage warst, mit ihr zu schlafen«, sagte ich. »Wie kriegt man einen hoch, wenn man weiß, am Ende fließen mit Sicherheit die Tränen?«
»Ich habe immer an andere Weiber gedacht.«
»Schon in der ersten Zeit eurer Beziehung?«
»Ja.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich wollte, dass wir zusammenbleiben.«
»Wegen des Kindes?«
»Eindeutig, ja.«
»Wie alt ist deine Tochter jetzt?«
»Neun.«
»Und wie heißt sie?«
»Greta.«
»Wie oft siehst du sie?«
Moritz zündete sich eine neue Zigarette an, goss uns wieder Cognac nach, trank, stand auf und ging zum Fenster. Er schaute hinaus und sagte nichts. Ich war etwas verwundert. Ich hatte doch eine ganz normale Frage gestellt. Nichts Schwieriges, nichts Kompliziertes. Warum schwieg er?
»Ich sehe sie nie«, sagte er dann leise.
»Du siehst Greta nie?«
»So ist es. Birte hat den Kontakt vollständig unterbunden.«
»Aber warum das denn?«
»Das ist eine lange Geschichte. Sie hat mich fertiggemacht. Es ist ihre Rache, weil ich mich von ihr getrennt habe. Dieses Biest spielt ihre Macht gnadenlos aus. Und ich kann nichts dagegen tun. Mein Kind wächst ohne Vater auf.«
Moritz ging zurück zu seinem Sessel, setzte sich, drückte seine noch nicht zu Ende gerauchte Zigarette in dem großen vor uns stehenden Aschenbecher aus, nahm noch einen Schluck Cognac, lehnte sich weit zurück und starrte an die Decke.
»Tja, Alter, so ist das. Wenn die Weiber wollen, haben sie dich ganz und gar in der Hand«, sagte er.
Da mochte er Recht haben. Aber ich war irritiert. »Alter« hatte er noch nie zu mir gesagt, und ich auch nicht zu ihm. Das war nicht unser Umgangston.
»Auch wenn es eine lange Geschichte ist, erzähl mal!«, sagte ich. »Du wirst dir doch auf irgendeine Weise das Recht erstreiten können, dein Kind zu sehen. Hoffentlich bist du als Vater amtlich dokumentiert?«
»Ja, das bin ich, darum ging es auch nie.«
»Um was ging es denn?«
»Birte ist eine Ratte, musst du wissen. Sie hasst mich bis aufs Blut. Schon in den ersten Wochen nach unserer Trennung verbot sie mir, Greta zu sehen. Dann habe ich mir einen Anwalt genommen, und der Papierkrieg ging los. Sie
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