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Der Gedankenleser

Der Gedankenleser

Titel: Der Gedankenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Domian
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Flasche.
     

    Jetzt beobachtet der Kerl mich im Spiegel. Hundertpro will er gleich ein Autogramm haben.
     

    Zum zweiten Mal ertappt, senkte ich schnell meinen Blick.
    Autogramm? War er berühmt? Musste ich ihn kennen? Aber ich hatte keinen blassen Schimmer. Allerdings war es nicht gerade hell im Empire, und ich hatte nur flüchtig zu ihm hinsehen können. Also schaute ich ein weiteres Mal in den Spiegel. Aber dummerweise trafen sich unsere Blicke schon wieder.
     

    Wie geil, so angeguckt zu werden. Und die da hinten starren auch schon alle.
     

    Verärgert über mich selbst, schaute ich sofort in eine andere Richtung. Erkannt allerdings hatte ich ihn wieder nicht.
     

    Freundlich, der Keeper. Saustolz ist er, dass er mich bedienen darf. Kriege bestimmt gleich was spendiert.
     

    Und ich traute meinen Ohren nicht. Meinen körperlichen Ohren.
    Der Barkeeper beugte sich tatsächlich über die Theke und sagte zu meinem Nachbarn: »Schöne Grüße vom Chef da drüben, das Budweiser geht natürlich aufs Haus.«
    »Wie nett!«, antwortete der Mann knapp und betont charmant und nickte an mir vorbei in Richtung des Chefs.
     

    Arschkriecher.
     

    Arschkriecher? Meinte er mich oder den Bar-Inhaber?
    Für ein paar Sekunden schaute ich meinen Nachbarn von der Seite an. Er war ein attraktiver Typ, wesentlich jünger als ich, topgepflegt, und sein T-Shirt verriet einen perfekten Oberkörper.
     

    Jetzt wird er penetrant.
     

    Ich kannte diesen Mann definitiv nicht. Offenbar aber war er prominent. Ich überlegte. Vielleicht gehörte er zu der Heerschar von mehr oder weniger populären Seriendarstellern. Diese Art der Unterhaltung hatte mich nie interessiert, und so waren mir die Stars dieser Sendungen völlig unbekannt. Oder saß neben mir vielleicht ein Schlagersänger? In diesem Genre war ich ebenfalls nicht gerade bewandert. Er hätte auch ein Fernseh-Moderator sein können, der mir bisher nicht aufgefallen war.
    Genau in diesem Moment sprach ihn eine junge Frau an.
     

    »Entschuldigen Sie bitte, es ist nicht meine Art, und Sie wollen sicher Ihre Ruhe haben, aber könnte ich vielleicht ein Autogramm von Ihnen bekommen?«
     

    Süße Kleine.
     

    »Aber natürlich, sehr gerne!«
     

    Er griff in eine Seitentasche seiner Hose und holte ein Kärtchen hervor, darauf sein Konterfei.
    »Wie heißen Sie denn mit Vornamen?«
    »Anja! - Wissen Sie, ich sehe Sie fast jeden Tag. Liebesgeflüster ist meine absolute Lieblingsserie, und Sie sind mein Lieblingsschauspieler.«
     

    Ich hatte also mit meiner ersten Vermutung genau richtiggelegen.
     

    »Oh, vielen Dank!«, antwortete er lachend - und das Weiß seiner Zähne sprang mir sofort ins Auge.
    Er schrieb »für Anja, alles Liebe« neben seine Unterschrift und überreichte der aufgeregten jungen Frau das Autogramm.
    »Machen Sie weiter so!«, sagte sie scheu - und ging, ohne eine Reaktion von ihrem Star abzuwarten, an das andere Ende der Theke.
     

    Jedes Autogramm ist ein Triumph.
     

    Ich entschied mich, ihn anzusprechen.
     

    »Sie sind Schauspieler?«
     

    Das will ich meinen, du Depp.
     

    »Ja, das bin ich«, sagte er freundlich, wenn auch ein wenig pikiert.
    »Entschuldigen Sie, ich gucke im Fernsehen meist nur Nachrichten, Dokumentationen oder alte Filme. Deshalb kenne ich Sie wohl nicht. Wie lange sind Sie schon in dem Beruf?«
    »Ich wurde entdeckt. Vor drei Jahren, bei einem Casting.«
    »Und Sie spielen in einer Serie?«
     

    Aber das ist erst der Anfang.
     

    »Ja, eine der Hauptrollen in Liebesgeflüster. Die Serie läuft täglich.«
    »Das ist bestimmt eine Menge Arbeit?«
    »Ja, durchaus. Ich bin jeden Tag bis zu zehn Stunden am Set. Man muss sich halt zu hundert Prozent einbringen, und das kostet viel Energie.«
     

    Kannst du dir natürlich nicht vorstellen.
     

    Ich spielte den Beeindruckten, aber schon jetzt war mir der Kerl ziemlich unangenehm.
    »Das kann ich mir denken«, antwortete ich. »Ein künstlerischer Beruf verlangt vollen Einsatz.«
    »Genau. Und man ist es dem Publikum schuldig.«
     

    Ohne mich wäre die Serie nichts.
     

    »Was für einen Charakter spielen Sie? Identifizieren Sie sich mit der Rolle?«
    »Ach, mir fällt gerade auf, dass wir uns ja noch gar nicht vorgestellt haben«, sagte er etwas gekünstelt. »Mein Name ist Carsten Neuried.«
    Er gab mir die Hand, und auch ich stellte mich vor. Aber dann kam er schnell auf meine Frage zurück.
    »Wissen Sie, Arne, man muss sich in jede Rolle intensiv hineinarbeiten, um ihr

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