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Der geduldige Tod (German Edition)

Der geduldige Tod (German Edition)

Titel: Der geduldige Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helke Böttger
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Opfer eines Serientäters wirst? So groß, wie zweimal einen Flugzeugabsturz zu überleben – es tendiert gegen Null. Mach dir keine Gedanken. Aber wenn du willst, frage ich nach, ob er noch im Gefängnis ist.«
    »Bitte, mach das«, erwiderte Victoria, doch seine Worte hatten sie bereits ein wenig beruhigt. Es war wirklich äußerst unwahrscheinlich, dass sie erneut einem irren Mörder zum Opfer fiel. Und genauso unwahrscheinlich war es, dass er aus dem Gefängnis geflohen sein konnte. Und entlassen wurde er sicherlich ebenfalls nicht.
    »Und selbst wenn er draußen wäre, er wüsste doch gar nicht, wo du bist«, vervollständigte ihr Vater seine besonnene Antwort.
    »Richtig.« Sie atmete erleichtert auf.
    »Lass dich nicht verrücktmachen. Schlimm genug, dass du dein Leben hier aufgeben musstest, lass dir nicht auch noch das auf der Insel verderben.«
    Sie tauschte noch ein paar Informationen ihre Familie betreffend aus, dann legte sie auf.
    Nur wenig später zog sie ihre Schuhe an und lief aus der Wohnung. Sie war viel zu aufgewühlt und verstört, um ruhig sitzen zu können. Und ihr Vater hatte Recht gehabt. Sie durfte sich nicht schon wieder ihr Leben aus der Hand nehmen lassen. Sie war doch gerade erst dabei, es zurückzugewinnen.
    Es war ein wunderschöner, warmer Nachmittag. Am Horizont türmten sich Gewitterwolken, aber sie sahen nicht so aus, als wollten sie hierher ziehen.
    Sie lief einfach los, ohne bestimmtes Ziel, mit noch immer wild klopfendem Herzen, das sich durch die Bewegung langsam beruhigte. Sie eilte die Straße entlang, bis sie schließlich am Hafen landete. Erwartungsvoll sah sie zum Ende des Kais, wo noch vor kurzem Francisco mit einer Gruppe junger Leute gestanden hatte, aber dort warteten nur Angler auf den großen Fang. Sie lief den Steg entlang, um auf seinem Boot nachzusehen, traf ihn dort aber ebenfalls nicht an.
    Sie hatte es zwar nicht wirklich erwartet, ihn hier zu sehen, aber sie hätte sich gefreut, wenn sie ihn gefunden hätte. Enttäuscht schlenderte sie zurück. Als sie am Fischmarkt vorüberkam, sah sie, wie die letzten Fischer ihren übriggebliebenen Fang auf Eis legten.
    »Kann ich noch etwas kaufen?«, fragte sie auf Spanisch einen der Fischhändler. Er hatte eine so blankpolierte Glatze, dass sich die Sonne darin spiegelte.
    Der Mann nickte. »Welchen wollen Sie?«
    Sie zeigte auf einen stattlichen Fisch, von dem sie keine Ahnung hatte, wie er sich nannte. Der Mann nickte. »Er muss bald in Eis liegen. Wenn Sie noch spazieren gehen wollen, ist das gar nicht gut. Dann liefere ich Ihnen den Fisch besser nach Hause.«
    Sie nickte. Sie wäre gern noch ein bisschen herumgelaufen, um nicht alleine in ihrer Wohnung zu sitzen und sich unnütze Gedanken um den Mörder zu machen. »Danke, das wäre nett.«
    Sie bezahlte, gab dem Mann ihre Adresse, dann wandte sie sich ab und ging langsam den Weg zurück zum Zentrum. Die Sonne stand schräg über den Klippen und schob sich allmählich hinter die Felsen. Die Schatten der Bootsmasten lagen wie schwarze Linien vor ihren Füßen. Aus einem Lagerhaus zu ihrer Linken hörte sie ein leises Klappern, eine Tür knarrte und ein Schatten huschte durch das Gebäude, ihren Schritten lautlos folgend, doch sie achtete nicht darauf.
    Im Ort tummelten sich die Touristen in den Straßen und Restaurants, Musik ertönte laut aus den Lokalen. Es herrschte solch ein Trubel, dass Victoria kaum vorwärts kam.
    Es war das erste Mal, dass sie zu so später Stunde im Ort war, und sie bemerkte erstaunt, wie gefasst sie war. Ihr Herz klopfte, das musste sie zugeben, aber die Menschenmassen jagten ihr weniger Angst ein, als sie vermutet hatte. Mutig geworden betrat sie sogar ein Restaurant und bestellte einen Salat.
    Stolz über ihren Erfolg saß sie zwischen den Touristen, die in verschiedenen Sprachen, auch in ihrer, über Gott und die Welt redeten, und nahm mit gutem Appetit ihr Mahl zu sich. Sie würde sich die Welt schon zurückerobern. Nach und nach, mit viel Geduld.
    Kurz nach Sonnenuntergang bezahlte sie und ging hinaus in die Dämmerung. Sie lief noch bis zum Ende der Promenade, dann drehte sie um.
     
    Als sie an ihrem Haus ankam, lag der Fisch in Eis gewickelt auf der Treppe. Sie nahm ihn mit nach oben, doch als sie ihn im Kühlschrank verstauen wollte, klingelte das Telefon.
    »Anruf von Eltern«, sagte das Gerät.
    Sofort stürmte sie zu dem Apparat, aus dem ihr Vater die erhoffte Nachricht mitteilte: »Der Mörder ist noch im Gefängnis. Ich habe

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