Der geduldige Tod (German Edition)
Worten. Sie wusste nicht, was sie getan hätte, wenn sie die Leiche gefunden hätte. Wahrscheinlich wäre sie kollabiert, dann hätte die Polizei zwei tote Frauen abtransportieren müssen.
»Ich hasse es, dass dieser Verbrecher mich so fürchterlich beeinflusst und behindert«, sagte sie, »so dass ich in ein fernes Land reisen und unter Fremden leben muss und dennoch nicht in Ruhe leben und über fremde tote Frauen sprechen kann, sondern am helllichten Tag einfach umkippe.«
»Du wirst die Angst besiegen«, versicherte Francisco. »Ganz bestimmt.« Dann küsste er sie sanft. »Ich helfe dir. Und ich fang damit an, indem ich dich ins Bett bringe.«
Sie löste sich von ihm und lächelte. Es war in der Dunkelheit allerdings nicht mehr zu sehen.
»Ich möchte nicht, dass du gehst«, wisperte sie. »Lass mich nicht allein.«
»Dann bleibe ich hier.« Er zog sie erneut an sich und strich über ihr Haar, streichelte ihren Hals und liebkoste ihren Nacken. »Ich wache über deinen Schlaf, damit niemand dir etwas tun kann, nicht einmal in deinen Träumen.«
Sie spürte, wie sein Atem über ihre Haut strich, wie seine Wärme sie beruhigte. Sie hätte ihn gern noch näher bei sich gespürt, doch soweit war sie noch nicht.
Sie ging einen Schritt zurück, so dass er seine Umarmung lösen musste.
»In meinem Bett ist nicht unbedingt mehr Platz als in der Koje auf deinem Boot, aber das reicht uns sicherlich.«
Er nickte schmunzelnd. »Das reicht locker.«
Es reichte tatsächlich. Sie lagen eng umschlungen im Bett, und sie genoss seine Nähe und die Wärme und Sicherheit, die er ausstrahlte. Seine Hände strichen zärtlich über ihren Körper, aber nur dort, wo es angemessen war. Und immer wieder fanden ihre Münder zueinander. Dazwischen redeten sie erneut von den Ereignissen des Tages, von Ana, der Toten, einer Studentin, deren Eltern einen Laden an der Promenade besaßen.
Schließlich wurden ihre Bewegungen träger und langsamer, die Antworten kürzer und ihre Sprache schleppender. Und Victoria versuchte, sich ein letztes Mal selbst davon zu überzeugen, dass der Tod der Frau am Strand in keinem Zusammenhang mit ihren Erlebnissen in Deutschland stand.
»Schlaf gut«, murmelte Francisco müde. »Und vergiss die heutigen Vorkommnisse einfach. Anas Tod hat rein gar nichts mit dir zu tun«, wiederholte er.
Victoria schloss die Augen. Aus irgendeinem Grund fiel es ihr schwer, das wirklich zu glauben.
***
Der nächste Morgen begann mit Lärm. Jemand hämmerte laut an Victorias Tür. Dazu ertönte eine energische Frauenstimme. »Wenn Sie mich hören, dann machen Sie die Tür auf. Geht es Ihnen gut? Bitte öffnen Sie!«
Schlaftrunken erhob sich Victoria und ging zur Tür. Die Frau im Hosenanzug stand davor, in der Hand hielt sie ein Dokument, das sie als Kriminalkommissarin Lucia Hernandez auswies.
»Was wollen Sie?«, fragte Victoria.
»Mein Name ist Lucia Hernandez, ich bin Kriminalkommissarin und möchte mich danach erkundigen, wie es Ihnen geht. Ich hatte sie gestern nach Hause gebracht.« Sie sprach fließend Deutsch, wenn auch mit Akzent.
Victoria erinnerte sich verschwommen an die Fahrt im Polizeiwagen.
»Mir geht es gut, vielen Dank.«
»Was ist passiert?«
Die Frau fragte nicht, ob sie hereinkommen dürfe, sondern schob selbstbewusst einfach die Tür auf und trat ein.
Victoria ließ es geschehen.
»Mir wurde schwindelig und ich bekam Atemnot. Ich habe das manchmal in gewissen Situationen.«
»Was für Situationen?«
Victoria suchte nach einer plausiblen Antwort, ohne gleich alles erklären zu müssen, doch ihr fiel auf die Schnelle nichts Passendes ein. Zum Glück erklang in diesem Moment ein erstauntes »Guten Morgen« von Francisco. Er war angezogen. Nichtsdestotrotz rief sein Erscheinen ein überraschtes und augenscheinlich auch missbilligendes Runzeln auf der Stirn der Kriminalkommissarin hervor.
Die Besucherin fing sich jedoch sofort. Ihre Miene war nun aber weder freundlich noch mitfühlend. »Guten Morgen«, erwiderte sie kurz und wandte sich danach wieder Victoria zu. Ihr Blick lag kühl und abweisend auf der Deutschen. »Also, in welchen Situationen wird Ihnen schwindelig? Sind Sie schwanger?« Sie klang hart und anklagend.
»Nein«, wehrte Victoria ab. »Nichts dergleichen. Es ist was anderes. Ich bekomme hin und wieder Angstanfälle, nichts weiter.«
»Das sah aber nicht nach ›nichts weiter‹ aus. Es wirkte, als hätten Sie eine Ambulanz gebrauchen können. Ich hoffe, Sie
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